Kein Neid für den Nachlass
Wie ist es, ein Wochenende bei der Queen zu wohnen? Das fragt sich der "Spiegel". Wie groß ist der Neid deutscher Museumsdirektoren auf die in die Schweiz vererbten Gurlitt-Bilder? Das fragt die "Neue Zürcher Zeitung". Ein Blick in die Feuilletons der vergangenen Woche.
Herr Professor, fragt der SPIEGEL seinen Interviewpartner: "Seit drei Jahren sind Sie der Direktor eines der wichtigsten und beliebtesten Museen Großbritanniens." Der Herr Professor ist Martin Roth und Direktor des Londoner Victoria and Albert Museum. Der SPIEGEL ist ein Hamburger Magazin, das offenbar besonders spießig mit akademischen Titeln umgeht. Da passt die erste Klischeefrage an den Herrn Professor aus Deutschland natürlich bestens: "Trifft es zu, dass die Briten mit fast jeder Volksgruppe klarkommen, aber nur schwer mit den Deutschen?"
Doch Martin Roth hat offenbar von der Welt schon ein wenig mehr gesehen als seine Interviewerin Ulrike Knöfel und antwortet denn auch ganz souverän: Die Deutschen stehen heute in der Bevölkerung sogar einigermaßen hoch im Kurs, was erstaunlich ist. Man hatte lange nicht verwunden, dass diese Menschen, die man beinahe als Brüder empfunden hatte, sich so verhielten, wie sie es im letzten Jahrhundert taten. Jede andere Antwort wäre ja auch mehr als erstaunlich gewesen bei einem Mann, dessen Museum nach Königin Victoria benannt ist, die bekanntlich aus dem deutschen Hause Hannover stammte, und ihrem Gatten Albert aus dem Hause von Sachsen-Coburg und Gotha.
Was bedeutet Ihnen Geld? Das fragt die neue FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG die Schauspielerin Corinna Harfouch. Interviewer Volker Corsten spricht Sie aber nicht an als "Frau Schauspielerin des Jahres", was Corinna Harfouch 1997 war. Er arbeitet ja auch nicht beim spießigen SPIEGEL. Geld sichert Unabhängigkeit, antwortet Corinna Harfouch: Ich glaube aber nicht, dass mehr Geld die Unabhängigkeit zwangsläufig steigert, denn ich kenne Menschen, die mit unendlich wenig Geld auskommen – und auf mich dennoch keineswegs unfrei wirken. Einer der wirklich richtig Geld hatte, war der Film- und Showproduzent Rolf Deyhle, der seine Milliarden mit Hollywoodproduktionen wie der "Unendlichen Geschichte" und Musicals wie "Cats", "Starlight Express" und dem "Phantom der Oper" gemacht hat. "Es ist mir völlig egal, wieviel Geld ich habe, denn ich kann auf meinem letzten Weg sowieso nichts mitnehmen." So zitierte ihn die Tageszeitung DIE WELT in ihrem Nachruf, nachdem er im Alter von 75 Jahren gestorben war.
Zunächst ist es – wie häufig nach dem Tod eines Erbonkels – wohl so, dass die scheinbar unermesslichen Werte gar nicht so wertvoll sind. Das lasen wir in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zu einem anderen, der nun auf seinen letzten Weg gegangen ist. Cornelius Gurlitt ist tot, hieß es in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG: Uli Hoeneß muss ins Gefängnis. Die Schweiz hat den Menschen, die mit ihr Geschäfte trieben, kein Glück gebracht, meinte Jürg Altwegg – wo nun der berühmteste deutsche Kunstsammler seine Bilder dem Kunstmuseum Bern vermacht hat. Die Chance ist natürlich außerordentlich, wird dessen Direktor Matthias Frehner in der WELT zitiert. Die problematische Sammlung muss, fanden Hans Leyendecker und Catrin Lorch in der SÜDDEUTSCHEN, nicht nur aufgearbeitet und von Restauratoren betreut werden, sondern ist auch in moralischer Hinsicht ein schweres Erbe.
Die kluge NEUE ZÜRCHER ZEITUNG fragte daher auch gleich einmal deutsche Museumsdirektoren nach diesem Erbe: Der Neid hält sich in Grenzen, stellte Kulturkorrespondent Joachim Güntner fest. Den amtlichen, ehrwürdigen, unbestechlichen Henri-Nannen-Preis könnte am kommenden Freitag zum Beispiel die "Spiegel"-Reporterin Özlem Gezer gewinnen, lesen wir in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG, und zwar dafür, dass sie den Kunstsammler Cornelius Gurlitt während einer kurzen Fahrstuhlfahrt überreden konnte, mit ihr in ein Taxi zu steigen, statt die Fragen all jener Journalisten zu beantworten, die brav vor seinem Haus gewartet hatten. Das war in der Tat so richtiges Reporterglück, das die SPIEGEL-Journalistin Özlem Gezer ihr Leben nicht mehr vergessen wird. Ein kalter Dienstag im vergangenen November, wir waren unterwegs im ICE von München nach Stuttgart. Cornelius Gurlitt schob seinen schwarzen Rollkoffer langsam vor die Glastür, setzte sich auf den Platz rechts daneben. "Dann sieht das Abteil voll aus", sagte er.
Das beschreibt sie nun im neuen SPIEGEL und gibt noch einmal Einblicke in die Welt eines an Kunstwerken überreichen, an sozialen Kontakten allzu armen Mannes. Er erinnerte sich gern an die Alte Rabenstraße, die Alster nur ein paar Meter entfernt. In Hamburg wurde er geboren, getauft, dort verbrachte er seine Kindheit. "Ich fragte ihn nach Erinnerungen an die Stadt, erzählte ihm meine, er aber erzählte nichts von Sandkastenfreunden, nichts von Nachbarn oder Menschen, an die er sich erinnerte." Cornelius Gurlitt erzählte von den Tarnbauten für die Flugabwehr an der Alster. Den "Mann mit den ängstlichen Augen" hat ihn die WELT nun genannt, "einen der meist gejagten Prominenten der Welt" die FRANKFURTER ALLGEMEINE.
"Ort des Wir-Gefühls"
Verglichen damit ist das Londoner Victoria and Albert Museum ein Ort und Hort des Sozialen. Wir alle wollen doch vor allem unser eigenes Leben verstehen, sagt der Direktor im SPIEGEL-Gespräch: "Wir sind ein Museum, das Leute nicht ausschließen, sondern ein Ort des Wir-Gefühls sein will." Fragt der SPIEGEL noch: "Sie waren außerdem bei der Queen übers Wochenende eingeladen. Wie war es?" Antwortet Martin Roth: "Man isst, nimmt hinterher noch ein Getränk, man unterhält sich. Sehr herzlich, richtig liebenswert alles, aber auch ein wenig merkwürdig. Jeder Gast hat seinen eigenen Butler, man verbringt ja die Nacht dort, trotzdem bleibt ein Eindruck von Bescheidenheit." Das freut uns Monarchisten und da sagen sogar wir, mit dem SPIEGEL: Herr Professor, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.