Aus den Feuilletons

Keine Messe wegen Corona

18.10.2019, Hessen, Frankfurt/Main: Blick auf das Gelände der Frankfurter Messe. Links die Halle 4, dahinter der Messeturm und rechts die Halle 3 in der blauen Stunde. Foto: Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/ZB | Verwendung weltweit
Die "SZ" hat kein Verständnis dafür, dass es dieses Jahr in Frankfurt dunkel bleibt. © dpa / Jens Kalaene
Von Klaus Pokatzky |
Die Absage der Buchmesse in Frankfurt stößt bei der "Süddeutschen Zeitung" auf Unverständnis. Es sei nicht nachzuvollziehen, warum für Kultur schärfere Regel gelten würden als für andere Lebensbereiche. Ein Kino solle wie ein Zug behandelt werden.
"Da ich als Freizeitläufer viel zu Fuß unterwegs bin", lesen wir in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG, "habe ich mir angewöhnt, immer einen Fotoapparat dabeizuhaben", beschreibt Jochen Schmidt sein alltägliches Entspannungsvergnügen. "Ich sammle Ladenschilder mit Tieren, die für ihre eigene Verspeisung Werbung machen, Träger von Messi-Trikots, bepflanzte Trabant-Karossen, Großschachfelder, Minigolfanlagen, Geschäfte mit 'Paradies' im Namen, missglückte Kunst im öffentlichen Raum."
Da dürfte der Schriftsteller in Berlin aber reichlich zu sammeln haben – und vergessen wir auch nicht die "Wortspiele aus der Werbung", die er gerne fotografiert: "Schuhbidu, der Schuhladen", "Seidensprung, die Wohlfühlboutique", "Quark and Ride, die Käsetorte von Bäcker Wiedemann".
Damit ist in Corona-Zeiten genug Werbung für den Kleinhandel gemacht worden – und der Kulturpressebeschauer würde sich freuen, wenn Jochen Schmidt ihm mal im Volkspark Schöneberg-Wilmersdorf über den Weg laufen würde.

Apokalypse statt Utopie

"Ich bin noch nie so viel spazieren gegangen, geschwommen und Rad gefahren in einem Sommer", stand in der Tageszeitung TAZ. "Und habe noch nie so viel im Garten gearbeitet", fasste Elke Eckert ihren Alltag in Coronazeiten zusammen. "Es schien wie eine Reprise auf die Zeit kurz nach dem Mauerfall", erinnerte sich Ulrich Gutmair an die Berliner Lockdownzeit. "Ich fuhr nachts durch leere Straßen, und das fühlte sich nicht apokalyptisch an, sondern utopisch."
Eher apokalyptisch, also in Endzeitstimmung, wurden durch die unheilige Corona aber jene Menschen versetzt, die ihren Lebensunterhalt in der Kultur und im Gegenüber mit anderen Menschen verdienen müssen. "Für kleinere Läden, Buchläden etwa, die in der Vergangenheit immer engagiert Lesungen veranstaltet haben und da schon ihr Herzblut unentgeltlich in die Organisation gesteckt haben, ist es oft nicht mehr handhabbar", schrieb in der TAZ die Schriftstellerin Katrin Seddig.
"In ihren Läden ist nicht genug Platz, um ein Hygienekonzept umzusetzen. Deshalb gibt es nur wenige Lesungen, kaum jemand geht auf Lesereise."

Dicht gedrängt im ICE

Und eine Reise nach Frankfurt lohnt sich auch nicht mehr so richtig. "Der Hauptteil der Frankfurter Buchmesse, die klassische Hallenausstellung, fällt wegen der Corona-Pandemie in diesem Jahr aus", verkündete die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG. "Warum eine Kulturveranstaltung überhaupt noch komplett abgesagt werden muss, ist inzwischen kaum mehr zu verstehen", kritisierte Nicolas Freund – für den es unverständlich ist, "warum für Kultur schärfere Regeln gelten als für andere Lebensbereiche. Es wurde schon häufig kritisiert, dass nicht nachvollziehbar sei, wieso in einem Zug geringere Ansteckungsgefahr als in einem Kino herrschen solle."
Wer, wie der Kulturpressebeschauer am Freitag, jemals in einem ICE gefahren ist, in dem mehrere Abteile abgesperrt sind, weil dort jeweils zwei Fahrräder abgestellt wurden, und die menschlichen Passagiere dann dicht gedrängt auf dem Gang stehen müssen – der ist auch etwas irritiert.
"Da werden nirgends Mindestabstände eingehalten", lesen wir in der WELT AM SONNTAG. "Dort ist alles zu 100 Prozent voll, oft noch darüber", sagt der Bariton Matthias Goerne. "In den Kultureinrichtungen hingegen, die nur zu lächerlich geringem Teil mit Publikum besetzt werden dürfen, komme ich mir vor wie auf einer Intensivstation." Und: "Bahn und Flugzeug ja, Kultur nein! Ich finde das erschreckend."
Was werden kommende Generationen nur dazu sagen? Denn eines ist ja jetzt schon klar: Corona und ihre unheiligen Folgen werden dokumentiert wie noch nie eine Seuche in der Geschichte. "Im digitalen Zeitalter ist eine Pandemie zugleich auch eine Infodemie", stand in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG. "Genau wie die Viren, mehren sich auch die Informationen schwindelerregend schnell", schrieb Anna Gielas.

360 Millionen Clips

"Im März galt über eine halbe Milliarde Tweets dem Coronavirus. Im April erschienen auf Youtube über 360 Millionen Clips zu Covid-19." Und es entstanden erste Corona-Archive: "Websites, die User dazu einladen, Erlebnisse aus ihrem Pandemie-Alltag in Form von Texten, Audiobotschaften, Videoclips oder Fotos hochzuladen. Die Dateien werden zunächst auf den Websites ausgestellt und sollen langfristig archiviert werden, etwa in Zusammenarbeit mit staatlichen Archiven und Bibliotheken."
Viel Arbeit für die Zukunft. "Tun wir mal so, als wären wir schon in der Zukunft angelangt, nach Corona. Wie schauen wir dann zurück auf das Leben in der Pandemie?", fragte CHRIST UND WELT, die Beilage der Wochenzeitung DIE ZEIT. "Wie wäre es, wenn wir dieser Erinnerung in den kommenden Jahren in unserem Land Form und Gestalt gäben?", überlegte der katholische Bischof von Limburg, Georg Bätzing. "Ein interreligiöser Feiertag, ein Sabbat-Tag der Besinnung, wäre gut für Deutschland. Judentum, Christentum und Islam stehen in einer gemeinsamen Tradition der wöchentlichen Unterbrechung im Takt der sieben Tage."
Das gibt dann allen Religionen auch mehr Zeit fürs behagliche Familienleben. "Wenn meine Freunde zu mir nach Hause kommen, interessiert es sie nicht, ob ich Klavier spiele", sagte Lang Lang. "Es interessiert sie, ob meine Mutter Teigtaschen gemacht hat", erzählte der Pianist im Interview mit dem SPIEGEL. "Sie ist die beste Teigtaschenköchin der Welt. Sie hat ein Spezialrezept mit Fleisch, Frühlingszwiebeln und Shrimps. Die Teigtaschen sind frittiert und innen sehr saftig." Wohl bekomm’s!
Mehr zum Thema