Aus den Feuilletons

Konservative ohne Kompass

Der nordrhein-westfälische Minister für Bau und Verkehr, Oliver Wittke (CDU), hält am Dienstag (08.11.2005) in Dortmund am Stand für den "Ruhrpilot" auf der Messe "Railtec" vor jedes Auge einen als Werbegeschenk dienenden Kompass. Der Minister informierte sich an dem Stand über das Modellprojekt "Ruhrpilot", das erste umfassende Verkehrsmanagment-System für das Ruhrgebiet, das zur Fußball-WM 2006 die Fans zu den Stadien in NRW leiten soll. Grundlage bietet ein alle Verkehrsarten umfassender Datenverbund, der für die optimale Verbindung zwischen Fernverkehr, öffentlichem Personennahverkehr und Individualverkehr sorgen soll. Die Daten sollen unter anderem im Internet zur Verfügung gestellt werden. Foto: Bernd Thissen dpa/lnw +++(c) dpa - Report+++ | Verwendung weltweit
Manche haben allerdings gleich zwei: Der nordrhein-westfälische Minister für Bau und Verkehr, Oliver Wittke (CDU) © (c) dpa
Von Arno Orzessek |
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG stellt fest, dass der neue Lara Croft-Film auch funktioniert, ohne dass sich die Hauptdarstellerin auszieht. Die NZZ fragt sich, was es heutzutage heißt, konservativ zu sein und der TAGESSPIEGEL, ob Uwe Tellkamp jetzt Suhrkamp verlässt.
"Sie keucht, sie flucht, sie schnauft, aber: Sie stöhnt nicht", freut sich Jan Kedves in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG...
Und zwar über die Oscar-Preisträgerin Alicia Vikander, die in der neuen "Tomb Raider"-Verfilmung des Norwegers Roar Uthaug die Rolle der Lara Croft spielt.
Zur Erinnerung: Damals, 2001, als Angelina Jolie die ursprünglich für Computerspiele erdachte Croft gespielt hat, war "Tomb Raider" noch voll des Stöhnens…
"Und es scheint darauf geachtet worden zu sein", mutmaßt Kedves, "dass dieses Stöhnen halb pornographisch klingt."

Sexisten müssen nicht ins Kino

Folgt man dem SZ-Autor, können sich klassische Sexisten den Kino-Besuch heute sparen.
"[Der neue] ‚Tomb Raider‘ ist deswegen toll, weil stimmt, was Vikander sagt: dass die neue Lara Croft ‚so hart und draufgängerisch ist, und doch so realistisch, dass man ihr abnimmt, dass sie eigentlich eine ganz normale, selbstbewusste Frau ist, die nur manchmal, ‚wenn es sein muss, sich in eine Kriegerin verwandelt‘. Die Stunts sind beeindruckend, klar. […] Aber im Grunde ist an dem Film genauso aufregend, dass Lara Croft durch ihn hindurch kommt, ohne sich ausziehen zu müssen."
SZ-Autor Jan Kedves über die Neu-Verfilmung von "Tomb Raider" – unter der freudig entsagenden Überschrift "Ohne Stöhnen". –
Ohne Überleitung wechseln wir das Thema.
"Der alte Kompass versagt seinen Dienst", titelt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG, in der Georg Kohler erklärt: "Warum es heute so schwierig ist, konservativ zu sein."
"Konservative [so Kohler] brauchen den Bezug auf Bestehendes, das alt genug ist, um es als gefestigte Tradition zu begreifen; auf Institutionen und Gewohnheiten, deren Wert selbst dort einleuchtet, wo i. hnen Versprechungen entgegenstehen, die Besseres verheissen […]. ‚Rechne mit den Beständen‘ ist der konservative Imperativ. Seine Logik versagt, wo das, was besteht, nicht mehr die Chance hat, alt genug zu werden, um sich zu bewähren."

Auf der einen Seite Ruhe, auf der anderen geht es heiß her

Plausible Argumente, ruhig vorgetragen von dem NZZ-Autor Georg Kohler.
Heiß her ging es unterdessen zwischen den Schriftstellern Uwe Tellkamp und Durs Grünbein anlässlich einer Diskussion im Dresdner Kulturpalast.
Tellkamp kritisierte, die Berichterstattung über die Flüchtlingskrise sei tendenziös gewesen und – so die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG –…
"verstieg sich zu der Behauptung, dass einem heute gar nichts anderes übrig bleibe, als AfD zu wählen, wenn man regierungskritisch sei. In dem Moment platzte Grünbein […] der Kragen. Dass die AfD die einzige Opposition in diesem Land sein soll, sei absurd: ‚Wenn alle so unzufrieden sind mit der Regierung, dann wird sie abgewählt, so einfach ist das!‘ Stattdessen werde hier so getan, als wären die Leute eingeschüchtert und müssten reden wie Merkel. ‚Was ist denn das für ein Scheiß?‘ fragte Grünbein. ‚Sind die denn alle programmiert, oder was?‘ Dafür gab es – wie für Tellkamp – Beifall."

Der Streit hat ein Nachspiel

So weit der FAZ-Autor Stephan Locke über den Tellkamp-Grünbein-Zwist, der alsbald ein Nachspiel hatte…
Wie Gerrit Bartels im Berliner TAGESSPIEGEL berichtet:
"Unter dem Hashtag Tellkamp twitterte Suhrkamp: ‚Die Haltung, die in den Äußerungen von Autoren des Hauses zum Ausdruck kommt, ist nicht mit der des Verlags zu verwechseln.‘ Der Twitter-Eintrag zielt auf Tellkamp, […] nicht auf Grünbein. Ob das Wasser auf Tellkamps Mühlen ist? Ob er sich dort weiter geduldet fühlt […]? Oder verlässt er Suhrkamp nun? Die Distanzierung des Verlags ist jedenfalls erstaunlich, es gab sie beispielsweise weder bei Peter Handke ([Stichwort:] Milosevic) noch bei Sibylle Lewitscharoffs umstrittenere Dresdner Rede."
Der SZ-Autor Jens Bisky hält die Distanzierung des Suhrkamp-Verlags von Tellkamp schlicht für "überflüssig" und befindet:
"Es darf mehr Gespräche wie das in Dresden geben. Nur im Alltag des dauernden Streits lassen sich Kränkungen, Schrecken, Ängste kleinarbeiten." -
Ob Sie Lust auf Streit haben oder nicht, liebe Hörer – wir meinen, eine Überschrift in der TAGESZEITUNG eignet sich auf jeden Fall als Parole für das Wochenende.
Sie lautet: "‘Mach was draus.‘"
Mehr zum Thema