Kopflos in der Wohnungsnot
Um vielfältiges Versagen der Politik geht es in den Feuilletons von "FAZ" und "SZ". Dass durch die Causa Maaßen der wichtigste Bauberater gehen müsse, sei ein schlechtes Zeichen, um die dringende Frage nach gerechtem Wohnraum zu beantworten.
Edo Reents von der FAZ hält's nicht mehr aus. "Das Land am Abgrund?", fragt er und antwortet: "Eher ist es die SPD." "Ist denn", schreibt er, "der Fall Maaßen am Ende so etwas wie Globke? Kommt ihm die Bedeutung zu, die Adenauers Kanzleramtschef seinerzeit hatte: ein politisch alles andere als stubenreiner, aber" – O-Ton Reents – "ungemein fähiger Verwalter?"
"Adenauer", so Reents, "begnügte sich damals mit der Auskunft, er brauche Globke. Seehofer", so Reents weiter, "sagt nun auch, er brauche Maaßen. Das Problem ist aber" - nach Reents - "nicht Seehofer, sondern die SPD: In der SPD wähnen sich alle auf der richtigen Seite – diejenigen, die um einer höheren Sache willen (Mieten, Renten, Pflege) nun schon alles schlucken; und diejenigen, die das für unwürdig halten."
Der letzte fähige Baupolitiker muss gehen
Mit den Mieten geht es gleich weiter. In derselben FAZ nimmt sich Niklas Maak die Wohnungspolitik nicht nur der SPD, sondern der gesamten Regierung vor. "Mietpreisbremsen sind nicht alles", schreibt Maak, der meint, "die staatliche Baupolitik müsse dem demographischen und sozialen Wandel gerecht werden."
Und auch da geht es um Maaßen.
"Die Kollateralschäden der Maaßen-Affäre", so Maak, "haben auch die Bauwelt erreicht. Es ist eine ebenso böse wie vielsagende Pointe, dass der sogenannte 'Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat' Horst Seehofer für die Beförderung seines Schützlings auf den Posten eines Staatssekretärs jetzt Gunther Adler rauswirft, den letzten Mann in seinem Ressort, der sich wirklich profunde mit Baupolitik auskennt."
"Ob es eine kluge Idee ist, einen Bauexperten gegen einen Sicherheitsexperten einzutauschen, wird sich zeigen, denn", so Maak, "die Wohnungspolitik wird in Deutschland auf ihre Weise immer mehr zu einem Sicherheitsrisiko, zu etwas, woran der gesellschaftliche Zusammenhalt auf eine viel fundamentalere Weise scheitern könnte als an der Migrationspolitik."
Wohnungsnot durch Versagen von Markt und Politik
In der Süddeutschen stößt Gerhard Matzig ins gleiche Horn, wenn er feststellt, dass die "Krise des Wohnens die entscheidende soziale Frage der Gegenwart" ist, die viel "mit einem Versagen der Politik wie auch des Marktes zu tun" hat. Matzig hat eine der Ursachen für die Lage am Wohnungsmarkt parat, nämlich einen "Mangel durch Reichtum: In Deutschland", analysiert er, "sind Wohnungen auch deshalb so knapp, weil jeder Einzelne immer mehr Raum beansprucht" - "Als gäbe es ein Menschenrecht auf freistehende Badewannen, skulpturale Kühlschränke, Gästezimmer, Ankleideräume, Salons und Sofalandschaften."
Gebremste #MeToo-Bewegung
Damit stoßen Maak und Matzig ohne Frage eine wichtige Debatte an. Doch setzen Feuilletondebatten die Politik schon deshalb meist nicht recht unter Druck, weil sie unstet sind, sich in Wellen ereignen. In der Welt etwa meint Hannes Stein, dass sich gerade "die Me-Too-Welle bricht", und zwar am Fall des Herausgebers der New York Review of Books, Ian Buruma, der seinen Job loswird, nachdem er den, wie Stein es nennt, "Rechtfertigungsaufsatz" des der Belästigung angeklagten, vor Gericht freigesprochenen Radiomoderators Jian Ghomeshi abdruckte, gerade "die Me-Too-Welle bricht". Stein spricht gar vom "Comeback der Grabscher".
Christian Zaschke zitiert in der Süddeutschen Herausgeber Buruma mit dem Satz: "Ich hatte starke Reaktionen erwartet. Meine Hoffnung war, dass sich eine Diskussion darüber entwickelt, wie wir mit Leuten umgehen, die sich falsch verhalten haben, aber vor Gericht freigesprochen worden sind." – "Ich habe", so Buruma, "ein Themenheft über Menschen gemacht, die nicht von der Justiz, sondern von sozialen Medien verurteilt worden sind. Jetzt stehe ich selbst am Pranger."
Große Themen als Schutz
Wer das sicher vermeiden will, sollte ab sofort Smalltalk vermeiden. "Das Alltagsgespräch hat einen schlechten Ruf", schreibt Marion Löhndorf in der NZZ. "Viel schöner", meint sie, "findet man die ganz grossen Themen: die Lage im Nahen Osten, Religion, Islam und die drei letzten Päpste im Vergleich. Leben, Tod, Krieg, das ganze Programm."
Und da hat sie Maaßen, Mieten und die SPD noch gar nicht dabei.
"Nur so 'Herrlicher Sommer dieses Jahr, oder?' daherzuplaudern", schreibt Frau Löhndorf weiter, "herrje. So schnell hat man sich noch nie ins Aus gequatscht. Die Small-Talk-Polizei ist moralisch und geistig überlegen, immer."
Herrje. Muss alles immer gleich "Polizei" heißen, was anders tickt? Na ja, nehmen wir den Artikel als Ausdruck des von ihm selbst propagierten Mottos: "Plaudern ist entspannend".