Künstler auf den Barrikaden
Künstler und Künstler-Verteidiger wüten gegen das geplante Kulturgutschutzgesetz. Die Idee des Nationalen sei 2015 überholt, heißt es. Vielleicht sollten die Protagonisten einmal gemeinsam den Wutraum in München aufsuchen? Den hat eine Autorin der FAZ ausprobiert und eine komplette Büroeinrichtung zertrümmert.
"Einfach alles kurz und klein schlagen, statt immer schön ruhig bleiben" - Ursula Scheer hat es für die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG ausprobiert und in einem sogenannten Wutraum eine komplette Büroeinrichtung vermöbelt, zu Heavy-Metal-Musik Drucker und PC vertrimmt und sich dabei so richtig schön ausgearbeitet. Wie ein Workout kam ihr das Angebot zum "betreuten Austicken" nämlich bald vor. Ein Münchner Ex-Gastronom bietet an, ein sorgsam mit Altmöbeln ausgestattetes Büro zu zerlegen zwecks Frustabbau, freilich mit Schutzbrille und Handschuhen. Wer will, kriegt alles klein. Anfangs bereitet das Verkloppen wohl Vergnügen, bald aber macht sich doch der Gedanke breit, dass man nicht trifft, was oder wen man meint. Fazit der FAZ-Autorin:
"Vielleicht bewegen wir uns alle zu wenig ... .Am nächsten Tag werde ich Muskelkater haben. Aber die Nackenverspannung, die ich in die Wutkammer mitgebracht habe. Die ist weg."
"Befreiungsschlag?" Wir sind weg aus dem Wutraum, aber Kulturstaatsministerin Grütters bezieht für ihren verquasten Kulturschutzgesetzentwurf weiter heftig Prügel. In der WELT verteidigt der Kunsthistoriker und Anwalt Bertold Schmidt-Thomé den freien Handel aus juristischer Sicht, in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG scheint Jörg Häntzschel der Kulturstaatsministerin erstmal grundsätzlich zur Seite zu springen, wenn er sagt:
"Man muss kein Mitleid haben mit dem Kunsthandel. Und es wäre Zeit, sich den Grauzonen und Schlupflöchern zu widmen, die Kunst zu einer Nebenwährung für Scheichs und Steuerbetrüger zu machen."
"Man muss kein Mitleid haben mit dem Kunsthandel. Und es wäre Zeit, sich den Grauzonen und Schlupflöchern zu widmen, die Kunst zu einer Nebenwährung für Scheichs und Steuerbetrüger zu machen."
Doch dann geht's los. Grütters behaupte eine Bedrohung, die so gar nicht existiere. Viel irritierender noch sei, dass der Entwurf im Jahre 2015 die Idee des Nationalen wieder einführe, wo doch kein Bereich mehr von der Globalisierung lebe als Kunst und Kultur. Am schärfsten schießt die sonst doch gern so abgewogene NEUE ZÜRCHER ZEITUNG, "Eine Nation wird durchschnüffelt", heißt es hier schon in der Überschrift, und für den Kunsthandel fürchtet man gar Stasi-Methoden, wenn der Entwurf umgesetzt würde.
Die Kunstwelt mag Kopf stehen, Baselitz hat seine kopfstehenden Figuren im Dresdner Albertinum ja auch schon abgehängt, die NEUE ZÜRCHER kommt mit Schweizer Urwerkakribie fast feixend noch zu einem anderen Schluss, wir lesen:
" Sammler sind schon auf dem Sprung, ihre Schätze ins Ausland zu transferieren, mehr Händler werden grenzübergreifende Dépendancen eröffnen. Glückliche Schweiz! Sie wird ein ersehnter Nutznießer deutscher Kontrollwut sein" - soweit die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG. Einmal Wutraum bitte!
Einen Spaß hat sich die WELT gemacht. Die fragt sich, was die Klassiker der abendländischen Philosophie zum Internet gesagt hätten, und schickt fünf Großdenker auf eine imaginäre Entdeckungsreise. Marx, Hegel, Freud, Heidegger und Humboldt gehen auf Tour. Nur so viel sei verraten, es gibt diverse Abgänge. Marx etwa, der die Revolution nun endlich angebrochen sieht - "die Arbeiter verfügen über unbegrenzten Zugang zu Wissen und Bildung!" - Marx schimpft schnell auf das Freelancertum des Internetzeitalters, das keinen vernünftigen Protest zustande bringt und stattdessen "einer speziellen Form der Gymnastik frönt, bei der sie anstatt lauthals gegen die Verhältnisse aufzubegehren, "nach innen" atmen". Yoga also statt Wutraum! Die Kollegen der WELT haben sich einen Sommerspaß gemacht mit dieser imaginären Zeitreise, ein schlauer Kopf nach dem anderen geht von Bord. Zum Schluss bleibt nur noch Humboldt übrig und fragt kläglich: "Ist da jemand?"