Aus den Feuilletons

Kunst unter bürokratischer Zwangsverwaltung?

Ein Sirenen-Aquamanile (um 1230) und ein Löwen-Aquamanile im Bode-Museum in Berlin
Der Kunsthandel beschwert sich, das neue Gesetz sei eine "kalte Enteignung". © picture alliance / dpa / Stephanie Pilick
Von Maximilian Steinbeis |
Am Kulturgutschutzgesetz lassen die Feuilletons kein gutes Haar: Die FAZ meint, Ministerin Grütters solle alles unternehmen, um den Anschein bürokratischer Willkür zu verhindern, während die TAZ diese schon vorab gegeben sieht.
Höllenschlund, Fegefeuer – oder ist es gar das Paradies? Am Tag nach dem politisch bewegendsten Wochenende, das Europa seit einem Menschenalter erlebt hat, mag man es dem deutschsprachigen Feuilleton nachsehen, wenn beim Versuch, sich über die eigene Position klar zu werden, nicht gleich alles wie am Schnürchen klappt. Auf den göttlichen Dreiklang aus Inferno, Purgatorio und Paradiso kommen wir noch zurück.
Noch sind wir nicht fertig mit Griechenland. Am meisten Platz räumt der essayistischen Bewältigung des Grexit-Dramas die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG ein, die von Alex Rühle und Jens Bisky den gleichen Artikel gleich zweimal schreiben lässt. Bisky ärgert sich über "hässliche alte Bekannte, die man doch längst verabschiedet glauben wollte, (…) allen voran das nationalistische Ressentiment und die Völkerpsychologie".
Rühle tut dasselbe über die "Reanimierung dämlich-behäbiger und/oder aggressiver Feindbilder" mitsamt paralleler "Renationalisierung" in ganz Europa, wobei "der rhetorische Grenzwall meist nicht gegen Nachbarländer hochgezogen" wird, "sondern gegen Europa selbst".
In der WELT dagegen findet der Soziologe Wolf Lepenies in seiner Kolumne wieder mal die Syriza-Regierung schlimm und schlägt vor, "in den Politjargon ein neues Wort einzuführen: 'Misstrauen bildende Maßnahmen'."
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG wiederum traut sich nur zu einem Randaspekt eine Meinung und fordert im Angesicht der This-is-a-Coup-Empörungsstürme auf Twitter Respekt vor den berichterstattenden Journalisten, die immer, "wenn es historisch wird, sich die Beine in den Bauch stehen".
Einen ganz neuen Dreh gibt dem Thema indessen Doris Akrap in der TAZ, sich die "Qualitätsserie Grexit" wie ein süchtiger Binge-Watcher reinzuziehen.
"Wie bei jeder guten Serie muss man ihr eine zweite und dritte Chance geben. Man darf sich nicht über sinnlose Cliffhanger und Fehlbesetzungen ärgern, sollte sich für unlogische Plots und ausscheidende Hauptdarsteller begeistern und aushalten, dass Behinderte auch einfach mal ätzend sein können."

Bislang profitierte Deutschland vom freien Kunsthandel

Das neue Gesetz von Kulturstaatsministerin Monika Grütters, wonach nationale Kulturgüter besser vor Abwanderung ins Ausland geschützt werden sollen, scheint dagegen ein erholsam klarer Fall zu sein. Kunsthändler und Sammler klagen über "kalte Enteignung", und das kann man entweder mit Bernhard Schulz im TAGESSPIEGEL, "um das Mindeste zu sagen, grob fahrlässig" finden und die Kunsthändler der Verfechtung "eines vollständig unregulierten Marktes und des größtmöglichen Profits" zeihen, oder man hält es mit Brigitte Werneburg von der TAZ, die anprangert, dass hier deutsche Kunst "unter bürokratische Zwangsverwaltung" gestellt werden soll.
Andere tun sich indessen auch hier schwer mit der Positionierung: So findet Rose-Maria Gropp in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG zwar "keinen Anlass" für die Annahme, dass Künstlern, Sammlern und Händlern eine Art "Ausfuhrverbot" droht, mahnt die Ministerin aber gleichwohl, "alles (zu) tun, um den Anschein drohender bürokratischer Willkür, der Unbehagen auslöst, aus dem endgültigen Gesetz herauszuhalten".
Für Nikolaus Bernau ist in der BERLINER ZEITUNG nach allerhand Für und Wider am Ende der entscheidende Punkt ausgerechnet dieser:
"Deutschland kämpft seit Jahrzehnten für einen möglichst freizügigen Handel und hat davon immens profitiert."

Höllen-Spaziergang

Ist Dante Alighieri ein italienisches Kulturgut oder ein europäisches? Egal, jedenfalls wird er ein Dreivierteljahrtausend alt dieses Jahr, und uns bleibt jetzt leider nur noch die Zeit, aus der ganzen Seite, die die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG diesem Anlass widmet, eine kleine Passage zu zitieren:
"Der Dichter und sein Führer Vergil müssen beim Durchgang durch den Mittelpunkt der Erde (…) den Richtungswechsel der Schwerkraft bewältigen, die von allen Seiten auf diesen Mittelpunkt gerichtet ist."
Am Schenkelansatz des Teufels findet diese komplexe physikalische Operation statt, und zwar so:
"Vergil dreht sich mit Dante, den er in den Arm genommen hat, mit ängstlicher Mühe um. Dante, noch unbelehrt, meint zunächst, der Weg solle wieder zurück durch die Hölle führen; doch in Wahrheit geht es durch eine Geröll-Landschaft zu einem runden Ausgangsschacht, an dessen fernen Ende die Sterne des südlichen Himmels glitzern."
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