Kunstvolle Erotik, Gewalt und gewaltige Kunst
Ernst Jüngers erotische Eskapaden im Zweiten Weltkrieg führen zu Martin Heideggers Tagebuchnotizen aus den 30er- und 40er-Jahren und zu Kunstwerken voller Dreck. Dabei begann die Feuilletonwoche eigentlich ziemlich keusch.
"Ihr Körper, der sich hinter dem Haar abzeichnete, ist von vollkommener Harmonie, ihr angedeuteter Busen voll und fest, ebenso wie die Schenkel", schrieb Mario Vargas Llosa in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG über eine Zeichnung von Edgar Degas und eröffnete damit eine Feuilletonwoche von kunstvoller Erotik, Gewalt und gewaltiger Kunst. Geradezu keusch und stilvoll klang dieser Satz des Literaturnobelpreisträgers im Vergleich zu den Worten Ernst Jüngers. Der war wohl nicht nur ein Käfer-, sondern auch ein Frauensammler.
Jedenfalls berichtete Jünger-Biograf Heimo Schwilk in einem Vorabdruck in der WELT von Jüngers erotischen Eskapaden im Zweiten Weltkrieg, während seiner Stationierung in Paris: "Die Stadt bringt solche Rencontres fast ohne eigene Bemühung; man merkt, dass sie auf einen Altar der Venus gegründet ist", notierte Jünger. "Gegessen, dann im Lichtspiel; ich berührte dort ihre Brust. Ein heißer Eisberg, ein Hügel im Frühling, in den Myriaden von Lebenskeimen, etwa von weißen Anemonen, eingebettet sind."
Vermutlich musste Jüngers in Deutschland zurückgebliebene Ehefrau speien, als sie diese geschmacklos-schwülstigen Sätze las. Jedenfalls erfuhr sie aus den Manuskripten ihres Mannes, dass er sie betrog, und schrieb ihm 1943 nach Paris, sie wolle sich von ihm trennen. Seine Reaktion: "Ich bin den mannigfaltigen Verlockungen und Spielen, wie sie die Körper und Geister bieten, wohl allzu willig unterworfen; doch in der letzten, seelischen Gemeinsamkeit und Einsamkeit fand und habe ich nur Dich." Die Ehefrau glaubte Jünger. Oder fiel auf ihn herein.
Sind all die Japaner, die nach Deutschland gepilgert sind, um die Sprache Martin Heideggers zu lernen und ihn im Original lesen zu können, etwa auf den philosophischen Waldgängerguru hereingefallen? "Das Höchste, was zu sagen sein muß, muß ein Äußerstes von Verschweigung werden. Die Verschweigung eigentlich als Er-schweigung. Aber ist die Logik der Erschweigung denn nicht der Verrat von allem und des Nichts? Gewiß – wenn sie wie die bisherige Logik 'gelesen' und befolgt würde." Dieses Zitat Heideggers sei nicht nur auf den ersten Blick, sondern überhaupt völlig unverständlich, beruhigte Thomas Meyer in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG den Leser anlässlich von Heideggers nun erschienenen Tagebuchnotizen aus den 30er- und 40er-Jahren.
"Mit Heidegger durchs selbst entworfene Labyrinth"
Wer einmal den "Heideggerschen Spiegelsaal" betreten habe, müsse sich entscheiden: "Entweder man rennt hinaus, weil man das Ganze sowieso für Blödsinn hält – es sind bei Weitem nicht die Dümmsten, die das getan haben. Oder man läuft mit Heidegger durchs selbst entworfene Labyrinth, gelangt vielleicht zur 'Lichtung', wenn sich das 'Seyn' denn einmal wieder zeigen sollte, nachdem es zuletzt Hölderlin erschienen war […]."
Und wo noch keine Lichtung ist, macht man sich einfach eine. Zum Beispiel mit der Machete der Firma Walther, die Nils Minkmar anstatt eines im Internet bestellten Taschenmessers fälschlicherweise geliefert bekam. "Gestern war ich damit im Garten und sofort verzaubert", schrieb Minkmar in seiner Glosse für die FAZ. "Schon der Schatten der Klinge genügt, und alle Gewächse fallen geschockt zu Boden. Ich fühlte mich erleuchtet und sah kurzfristig in Walther eine Alternative zu Habermas: Statt der mühsamen – und oft so lauten – kommunikativen Handlung konnte man die Widersacher auch schnell zu Carpaccio verarbeiten. [ …] was so vielen Texten nicht gelang, das vermochte nun ein Gerät: Ich verstand erstmals Wladimir Putin."
"Begnügt sich Putin mit der Krim?", fragte die WELT. "Sie reicht ihm sicher nicht", antwortete der slowakische Fernsehproduzent Jan Mojto, der einst den Prager Frühling erlebte und sich auch deshalb den Ukrainern verbunden fühlt: "Der Drang nach Freiheit hatte uns blind gemacht."
"Wenn die Angst uns blind macht", hat der estnische Komponist Jüri Reinvere seinen Artikel für die FAZ genannt. Im gesamten Baltikum herrsche nun Panik. Reinvere zitierte Strindberg: "Angst vollbringt das Befürchtete."
"Die meisten Werke starren vor Dreck"
Das Unverhoffte brachte gleich das Befürchtete mit sich, als am 10. Februar Entrümpler, Anwälte und Kunstsachverständige das Salzburger Messie-Haus des Bilder-Erben Cornelius Gurlitt betraten. Sie entdeckten bedeutende Gemälde, unter anderem von Renoir, Monet, Manet und Liebermann, nur viele von ihnen in desaströsem Zustand. "Zwei weitere Male kehrte das Kommando in das Haus zurück", schrieben Jörg Hänzschel und Ira Mazzoni in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. "Und fand, nach gründlicherer Suche und hinter 'sperrigen und unbrauchbaren Gegenständen', wie es ein Beteiligter diskret beschreibt, noch erheblich mehr Kunstwerke." 178 mehr, um genau zu sein.
Die SZ-Autoren durften mit anderen ausgewählten Journalisten die an einem geheimen Ort gelagerten Kunstwerke bestaunen. Einen Matisse will Gurlitt nun den jüdischen Erben zurückgeben und mit Hilfe von Provenienzforschern klären lassen, welche der anderen Werke NS-Raubkunst und insofern schmutzig sind. Im konkreten Wortsinn schmutzig sind sie ganz sicher: "Die meisten Werke starren vor Dreck", schrieb der TAGESSPIEGEL. Ein Sprecher Gurlitts gebrauchte der SZ gegenüber das Wort "kontaminiert". Und man stellte sich Staub, Schimmel und ganz viel Getier vor.
Der Schriftsteller Walter Kempowski liebte wohl kleine Organismen. "Plankton" hat er das Werk genannt, das nun sechs Jahre nach seinem Tod erscheint. "Wie war Ihre Mutter?", "Erinnern Sie sich an einen Stau?", "Ihr erster Toter?" – Fragen wie diese stellte Kempowski jahrzehntelang allen, die er traf, vom Frisör bis zum Bankberater, erklärt Volker Weidermann in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG. Das Ergebnis, diese zufällig angeordnete Collage aus Antworten, fasziniert und verwirrt ihn zugleich: "Man liest, man liest, Chaos im Buch, Chaos im Kopf, ein großes Durcheinandertal."
Der neue SPIEGEL zitiert, was eine 1922 geborene Hausfrau Walter Kempowski über ihre Ehe erzählte: "Mein Mann ging nie mit mir weg, und wenn ich nach Hause kam, sagte er: 'Erzähl mal …' Dann sagte ich: 'Es lohnt sich nicht.' Und wenn ich dann doch was erzählte, sagte er: 'Es lohnt sich nicht …'"