Lässt Trump die US-Verfassung glänzen?
In den Feuilletons geht die Trump-Deuterei weiter. Der Historiker Jens Nordalm schreibt in der "FAZ", Trump sei für vieles gut. Sein Verhalten führe dazu, dass man der US-amerikanischen Verfassung bei der Arbeit zusehen könne.
Sorgen wir gleich für ein bisschen Tiefgang – beginnen wir mit der Conditio humana!
"Tiere sind wir, schlaue Tiere", trötete die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG per Überschrift ihren Lesern entgegen.
Bekrönt von einem verwaschenen Affenfoto, übte die niederländische Schriftstellerin Pauline de Bok ganzseitig Kulturkritik. Zu diesem Zweck beschrieb de Bok ihr inneres Erleben während jener Zeit, die sie in der leeren Landschaft Mecklenburgs verbracht hatte.
"Mit jeder Zeitung, die ich las, wurde die Frage drängender, was wir eigentlich sind, wir Menschen, im Licht der stillen Welt um mich herum und im Licht der wütenden Welt auf meinem Bildschirm. Erst während meines Aufenthaltes hier begann mir zu dämmern, dass ‚meine Welt‘ ihrem Ende entgegenging. […] Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren wir zu der Überzeugung gelangt, wir würden die Welt humaner machen. Wir sahen nicht, dass wir zugleich noch immer auf einem Affenfelsen hockten, wir vergaßen, dass Macht nicht auf Vernunft gegründet ist. […] Und wir vergaßen, was wir im Grunde sind: evolutionäre Wesen im Stadium Mensch. Noch immer drehte sich alles um das Überleben der Stärksten."
Wir sagen: Bitter wär’s, wenn’s nur so wäre, wie de Bok in der NZZ behauptete… und nicht oft auch ein bisschen freundlicher.
Dass Macht aber tatsächlich nicht notwendig auf Vernunft gründet, lässt sich weltweit erkennen – und ganz gewiss, na klar, an Mister Trump.
Verfassungen als "politische Lebensversicherungen"
Unter dem Titel "Die Macht der schlechten Laune" reihte sich Kai Müller im Berliner TAGESSPIEGEL in die unzählbare Schar der Trump-Deuter ein und hielt fest:
"Bittermiene, Drohungen und Ausraster: Donald Trump zeigt auch im Weißen Haus die klassische Maske der Despoten und Diktatoren – schaut mich an und fürchtet euch!"
Müller scheute sich nicht, auch den ewigen deutschen Schreihals Nr. 1 ins Spiel zu bringen.
"Auf der Suche nach den Quellen von Trumps Selbstverständnis landet man nicht automatisch bei Hitler. Trotzdem wird Trumps politischer Aufstieg immer öfter mit dem des Diktators verglichen. Solche Parallelen sind problematisch. Andererseits ist Trump wie Hitler ins Amt gelangt, indem er dem Volk eine ‚Bewegung‘, einen ökonomischen Protektionismus und die Entmachtung der parlamentarischen Elite versprach. Vor allem aber, indem er sich geschickt neuer Medien bediente. Hitler setzte auf den Rundfunk, Trump nutzt Twitter."
Wer es bei der Lektüre des TAGESSPIEGEL-Artikels mit der Angst zu tun bekam, konnte zu seiner Beruhigung die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG aufschlagen.
"Donald Trump ist für vieles gut [bemerkte der Historiker Jens Nordalm]. Er ist die Gefahr, die schon das Rettende wachsen lässt – und zwar in den Vereinigten Staaten selbst. […] Amerikanische Qualitätszeitungen gewinnen Abonnenten. Bisher […] zurückhaltende Teile der Gesellschaft geraten politisch in Bewegung. Richter fallen dem Präsidenten in den Arm, wie es sich gehört. Die Administration zeigt Selbstbewusstsein und Eigenwillen. Parlamentshäuser werden es [noch] tun. Parteifreunde tun es bereits. Wir sehen eine alteuropäische Verfassung nach Montesquieu, Locke und Kant an der Arbeit."
Und dass der Präsident auf den verfassungsmäßigen Widerstand namens Gewaltenteilung stößt, machte den FAZ-Autor Nordalm richtig glücklich.
"Wir verstehen vielleicht erst jetzt, was wir in der Schule gelernt haben. Unsere Verfassungen sind keine Vorrichtungen gegen harmlose, zurückhaltende Menschen wie du und ich. Unsere Verfassungen sind keine Schönwettertexte. Es sind echte politische Lebensversicherungen. […] Das Zeitalter des Verfassungspatriotismus könnte erst jetzt anbrechen."
So der begeisterte Jens Nordalm, dem man zum Dankes-Tweet raten wollte: Danke, Mister Präsident… you make constitution great again!
Die Welt: "Eskapismus ist ein Bürgerrecht"
Und jetzt lösen wir uns von Trump – und zwar mit Hannes Stein, der in der Tageszeitung DIE WELT behauptete:
"Die unangenehme Wahrheit ist: Mit diesem Präsidenten ist Politik so aufregend wie lange nicht. Und dennoch muss man sein Leben schützen und in die Normalität tauchen. Eskapismus ist ein Bürgerrecht."
Um wirklich wegzukommen, liest der WELT-Autor Stein übrigens Tolstois "Krieg und Frieden". Beachte mit Stein:
"Streng verboten dabei: den Laptop aufzuklappen und sich bei Facebook einzuloggen. Ich verlasse zum Lesen darum mein Büro und setze mich ins Wohnzimmer. Und schaue genau einmal am Tag Nachrichten, wenn unser Kleiner im Bett ist. […] Und ich höre auf meine Frau: Wenn wir gemeinsam in den Zoo gehen und vor einem Gehege stehen bleiben, lass ich mein Smartphone in der Tasche stecken."
So weit die Bekenntnisse des Trump-geschädigten Hannes Stein.
Kritik an der Doppelmoral der Eliten
Wir traktieren indessen weiterhin Ihre politischen Synapsen, liebe Hörer, und wenden uns dem Artikel "Der gute Mensch und seine Lügen" in der Wochenzeitung DIE ZEIT zu.
"Elitär ist jeder, der sich für etwas stark macht, das ihn selbst nichts kostet", definierte - sehr schön und schön provokant – Bernd Stegemann in seiner Auseinandersetzung mit dem Populismus:
"Der Vorwurf gegen die Eliten [so Stegemann] richtet sich […] gegen die Doppelmoral derjenigen, die eine Forderung erheben, für die sie selbst keine Opfer bringen müssen. Professoren, die Willkommenskultur predigen und als Beamte in Eigentumswohnungen leben, sind für alle diejenigen, in deren sozial schwierigem Stadtteil ein Flüchtlingsheim gebaut wird und deren Job im Niedriglohnsektor von der neuen Konkurrenz bedroht wird, Vertreter einer hassenswerten Elite. Mit Eliten sind also nicht diejenigen gemeint, die etwas können, sondern alle diejenigen, die aus dem Widerspruch von Forderung und Konsequenz ein gewinnbringendes Paradox für sich gemacht haben."
Puh, was für ein Satz! Aber nicht deshalb schlagen wir die ZEIT zu: Unsere Zeit ist um.
Nur eins noch, liebe Hörer: Was die Sonntags-Gestaltung angeht, möchten wir Ihnen mit einer Überschrift der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG raten: "Erst mal rausfahren."