"Lasst uns die Mauer bauen"
Für den Mauerbau an der US-Grenze plädiert Schriftsteller Juan Pablo Villalobos im "Tagesspiegel" - sogar auf Kosten der Mexikaner. Allerdings sieht er darin Türen, Notunterkünfte und Marihuanapflanzen vor. Eine solche Mauer ließe sich dann einfach aufrauchen.
"Lasst uns die Mauer bauen. Und einverstanden, wir werden dafür bezahlen, wir Mexikaner", schrieb der Schriftsteller Juan Pablo Villalobos im TAGESSPIEGEL. Und jetzt denken Sie, liebe Hörer, bestimmt: Aprilscherz! Genauso wie das, was Regina Mönch in ihrem Artikel für die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG über den Raub einer 100 Kilogramm schweren Goldmünze im Materialwert von 3,7 Millionen Euro aus dem Berliner Bodemuseum bemerkte:
"Kein Alarmglöckchen schlug an, als die Monstermünze, so groß wie ein Wagenrad und nicht einmal schön, durchs Fenster gewuchtet wird."
Aber das waren keine Aprilscherze. Na ja, im Fall von Juan Pablo Villalobos war es höchstens ein März-Scherz: "Lasst uns die Mauer bauen. Und einverstanden, wir werden dafür bezahlen, wir Mexikaner. Aber wir werden sie selbst bauen, und wir werden alle zwanzig Kilometer eine Hilfsstation einrichten. Eine Notunterkunft mit Ärzten, Essen, Wasser, Betten, in denen die Menschen sich ausruhen und Kraft schöpfen können. Und Englischkurse. Und das Wichtigste: Wir werden auf der gesamten Länge der Mauer viele Türen einbauen, tausende Türen, die man nur von einer Seite aus öffnen kann: von unserer."
Ob der italienische Schriftstellerkollege Giorgio Fontana wohl darüber lachen kann? Fontana forderte nämlich in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG von den heutigen Intellektuellen unter anderem die "Bereitschaft zur ernsthaften Debatte" in Zeiten der populistischen Vernunftfeindlichkeit und der Lügenfreundlichkeit. Eine Frage, die Fontana formulierte, zog sich wie ein roter Faden durch die Feuilletons dieser Woche:
"Welches wäre der Ort des Intellektuellen in dieser Welt des dauerhaft gewordenen Durcheinanders?"
Fontanas Antwort:
"Die Schönheit des Räsonierens muss erneuert werden so sehr wie das kollektive Bedürfnis nach Belehrung. Wir sollen wieder belehrt werden wollen."
Botho Strauß über das Verschwinden der Intellektuellen
Einer, der sich so gar nicht belehren lassen möchte und der Brechreiz beim Begriff der "kritischen Vernunft" bekommt, aber ebenfalls ein Durcheinander beobachtet (er nennt es "perturbatio", er kann nämlich alte Sprachen), ist der in der Romantik der Uckermark abgetauchte Autor Botho Strauß. Nachdem er im letzten Jahr seine panische Angst formuliert hatte, Flüchtlinge könnten sein geliebtes Deutschtum verfremden, schrieb er in dieser Woche in der ZEIT angewidert:
"Ideenkitsch – weitläufiges Flachrelief aus Gedankenpolyester. Kitsch der Toleranz, Kitsch des Weltweiten, Humankitsch, Kitsch der Minderheiten und der Menschenrechte, Klima-Kitsch und Quoten-Kitsch, Kitsch von Kunst und Wahn – dies alles sich vorstellen als eine erstarrte Paste, ausgedrückt aus einer Tube wie von Claes Oldenburg."
Strauß prophezeit, die Intellektuellen würden "wieder aus der Geschichte verschwinden." Und:
"Das poetische Wissen wird gegen den erschöpften Intellekt wiedererstarken."
Danach feiert Botho Strauß den (einzelgängerischen) "Reaktionär", also sich selbst, als "das Nachhaltigste, was die Denkwirtschaft hervorgebracht hat".
Man muss sich Tilman Krause als einen Menschen vorstellen, der mit vor Wut errötetem Kopf diesen Artikel las. Und so begegnete er Botho Strauß und dessen "raunendem Geschwurbel", indem er in der WELT den Zeitungsausriss des Artikels mit handschriftlichen Korrekturen versah und so die "gröbsten Schnitzer" herausarbeitete. Die Worte "Staub der Stunde" im Text von Strauß waren unterschlängelt. Daneben ließ Lehrer Krause seinen Schüler wider Willen wissen: "falsche Metapher". An anderer Stelle die Belehrung:
"Geplapper findet nicht unter, sondern auf der Erde statt".
Wie schrieb Giorgio Fontana noch gleich in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG:
"Wir sollen wieder belehrt werden wollen."
Eine Hecke aus Marihuanapflanzen zwischen Mexiko und den USA
Man kann natürlich auch ernsthaft darüber nachdenken, wohin die Reise gehen kann, wenn reaktionäre Intellektuelle dauerhaft die Macht haben. Mark Siemons tut das in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG am Beispiel der sogenannten "Neoreaktionären". Sie wenden sich – Botho Strauß würde Beifall klatschen – gegen den Glauben an liberale Prinzipien und an die Demokratie als eine "Pseudoreligion". Die Neoreaktionäre verstehen die Rationalität nicht als "emanzipatorisches Fortschrittsprojekt", erklärt Siemons, sondern als etwas, das man "umprogrammieren" solle. Die "Logik der Computer", die künstliche Intelligenz, solle "zum Richtmaß für das menschliche Denken" gemacht werden.
"Das Denken, das die Neoreaktionäre von den Maschinen lernen wollen, ist die Übersteigerung eines isolierten, von jeglicher Körperlichkeit und Erfahrung losgelösten Rationalismus",
schreibt Siemons und zeigt auf, was dieser "esoterisch-rassistische Internetzirkel" einfach mal tilgt:
"das Wissen […], wie eine Blume riecht, aber auch die Fähigkeit, sich in Leute einzufühlen, die von der neuen Übermenschenideologie im Namen der Wissenschaft zu Menschen zweiter Klasse degradiert werden".
Nach so viel Humorlosigkeit von Reaktionären und Neoreaktionären ganz schnell noch ein Plädoyer für den augenzwinkernden Umgang mit der Verblödung der Welt. Also noch einmal Juan Pablo Villalobos im TAGESSPIEGEL:
"Lasst uns die Mauer bauen. Und einverstanden, wir werden dafür bezahlen, wir Mexikaner. Eine grüne, ökologische Mauer. Genauer, eine Hecke, die aus Marihuanapflanzen besteht. […] Menschen aus dem Norden werden nun gen Süden strömen, um unsere Mauer aufzurauchen. Entgegen allen Erwartungen werden wir sie nicht verhaften. Im Gegenteil. Wir werden uns alle an der Mauer treffen, und zwischen unseren beiden Völkern wird eine neue Ära der Freundschaft und Brüderlichkeit anbrechen."