Lebendige Untote
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Einmal vom Sockel geholt ist Ruhe, könnte man meinen. Die Zeitung "Die Welt" widerspricht: Beseitigte Denkmäler bleiben wie Untote lebendig, Korrekturen nehme vor allem die Geschichte selbst vor.
"Ich habe etwas gegen Sprachreinigung", verrät der Historiker Wolfgang Reinhard im Gespräch mit Patrick Bahners und Andreas Kilb von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. "Wir haben uns eingebildet, wenn wir das Wort 'Rasse' abschaffen, dann gibt es auch die Sache nicht mehr. Das ist eine Überschätzung der Sprache. Man kann die Dinge nicht abschaffen, bloß weil man sie begrifflich entsorgt."
Man kann nicht Rassismus abschaffen, bloß weil man Denkmäler von Rassisten entsorgt, würde wohl Dankwart Guratzsch sagen. Mehr noch: Man kann nicht mal Denkmäler abschaffen, bloß weil man Denkmäler entsorgt. Denn dem Architekturkritiker zufolge "gestaltet" selbst ein gestürztes oder gesprengtes Denkmal "Raum". "Bilderstürmerei führt nie zur Aufklärung", hat Guratzsch seinen Artikel für das Feuilleton der WELT genannt.
Komischer Heroismus
"Die wirksamste, dauerhafteste Korrektur der Überlieferung leistet die Geschichte selbst", schreibt er. "Während die stehen gebliebenen Monumente in ihrem Heroismus und martialischen Gestus immer komischere, zeitfremdere Züge einnehmen, bleiben die beseitigten wie Untote lebendig."
Anlass für den Artikel ist, dass unter anderem Berlins ehemaliger Stadtentwicklungssenator Peter Strieder das Olympiastadion entnazifizieren, nämlich unter anderem Skulpturen, Wandgemälde und Reliefs entfernen lassen möchte.
Guratzsch hält nichts davon, wohlwissend, dass Strieder mit seiner Forderung perfekt in die jetzige Zeit der Bilderstürmer passt: "Die pseudoreligiösen Eiferer, die Dichter wie Ernst Moritz Arndt und Eugen Gomringer, Philosophen wie Immanuel Kant, Maler wie Emil Nolde, Eroberer und Entdecker wie Christoph Columbus, Politiker wie Winston Churchill als Rassisten vom Sockel stürzen, tappen in die Falle der Selbstkarikierung."
Philosophie an der Musikhochschule
Apropos Kant: Wie erklärt man "einer Geigerin oder einem Flötisten Kants Erkenntnislehre"? Das fragt in der ZEIT Sinem Kiliç die Philosophin Roni Mann. Und die antwortet: "Ich frage: 'Wo ist die Musik? In den Schallwellen? In deiner Interpretation? Hängt das Verstehen von Musik von menschlichen Fähigkeiten ab, oder könnte ein anderes Wesen dasselbe hören?' Plötzlich begreifen sie, dass wir bei der Betrachtung von Wolken nichts als die menschlichen Wolken sehen."
Mann leitet die geisteswissenschaftlichen Studien an der Barenboim-Said-Akademie. Die Studenten dieser Berliner Musikhochschule sollen durch eine geisteswissenschaftliche Grundausbildung erst ihr "volles Potenzial als Mensch und Musiker" ausschöpfen können. Und dazu gehört auch Roni Manns Philosophieunterricht.
"Hört man so ein Philosophiestudium am Ende denn?", fragt die Journalistin. "Einige Dozenten sagen mir, dass sie mehr Tiefe, mehr Reflexion im Spiel bemerken", antwortet die Philosophin: "Ich denke, dass man das nicht wirklich erkennen kann."
Ein sehr ehrlicher Satz, der hoffentlich nicht dazu führt, dass Roni Manns Lehrstuhl abgeschafft wird.
Das Ende der Segways
Ganz sicher abgeschafft werden Segways. Mitte Juli wird die Produktion eingestellt. "Ende des Stehrollers", heißt Bernd Graffs Nachruf in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Mitleid hat Graff nicht.
"Hurra!", ruft er aus. Denn Segways seien so überflüssig gewesen wie Selfie-Sticks. "Im Grunde blieben die Scooter Museumshopper für Lendenlahme", schreibt Graff und rät zum Schauen von Youtube-Videos mit dem Titel "Segway Fails".
Im Übrigen sei schon George W. Bush damit gestürzt. "2015 fuhr eines den Sprinter Usain Bolt bei einer olympischen Siegerrunde um", schreibt Bernd Graff, "und eines hatte den britischen Segway-Firmenbesitzer James Heselden im Jahr 2010 mit tödlichem Ausgang von einer Klippe befördert."