"Leise rieselt der Schmäh"
Die "NZZ" verspricht gepflegte Boshaftigkeit, die "taz" kündigt Sex an und in der "Welt" werden Erkenntnisse präsentiert - beim genauen Nachlesen aber fehlt dem Schmäh, dem Sex und der Wahrheit der richtige Schmackes. Mit Handfestem tröstet dafür die "SZ" die Leser. Zumindest ein bisschen.
Klar! Wir reden hier über die Heiligabend-Feuilletons – und die haben alle Jahre wieder eine Tendenz ins Besinnliche. Unsere Stimmung allerdings tendiert Richtung "unheilig". Und deshalb fällt uns als erstes eine Überschrift in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG auf:
"Leise rieselt der Schmäh."
Echte Schmäh, von der wir gepflegte Boshaftigkeit erwarten, liefert der NZZ-Autor Thomas Schacher allerdings nicht. Sein harmloses Urteil über die Genfer Neuproduktion der Oper "La Bohème" von Giacomo Puccini lautet:
"Die Inszenierung ist zwar solide gemacht, aber sie wagt vor lauter Nettigkeit nichts."
Um unsere Kulturpresseschau vor solcher Schelte zu bewahren, schlagen wir die TAGESZEITUNG auf, in der es um nicht weniger geht als um "‚Sex. Die wahre Geschichte‘"…
So heißt das Buch der Psychologen Christopher Ryan und Cacilda Jethá, die laut Annika Glunz allerlei Gründe dafür vortragen, warum die Menschen nicht zur Monogamie geboren sind – darunter diesen:
"Menschen haben den unter allen Primatenarten längsten und dicksten Penis und verhältnismäßig große Hoden. Zusammen mit einem (weitestgehend) verborgenen Eisprung und zahlreichen, im Körperinneren der Frau existierenden Abwehrmechanismen sei dies ein eindeutiges Indiz für Spermienkonkurrenz, die wiederum nur dann sinnvoll sein könne, wenn viele verschiedene Männer und Frauen miteinander Geschlechtsverkehr haben."
Bei aller Liebe und aller Zustimmung zu dieser Folgerung! Für uns hört sich das so an, als hätten da wieder mal zwei Schlaumeier über der biologischen die kulturelle Evolution des Menschen vergessen.
Henryk Broder zu den Reaktionen auf den Terror
Aber nun. Wenden wir uns auf der Suche nach Schmäh an Henryk M. Broder, den Diskurspolizisten der Tageszeitung DIE WELT.
Broder zeigt sich genervt von den öffentlichen Reaktionen auf den Terror:
"Nach Anschlägen reden Politiker, als ob alles beim Alten bliebe. Es ist, als würden Ärzte angesichts einer Pandemie den Menschen raten, mehr guten Willen zu einer gesunden Lebensweise zu entwickeln."
Dabei meint Broder:
"Spätestens seit dem 11. September 2001 sollte niemand, der ein Schaf von einem Löwen unterscheiden kann, sich der Illusion hingeben, es gebe keinen Grund, Angst zu haben."
Seltsame Belehrung! Als ob irgendein Nachrichten-Konsument die Illusion hätte, es gäbe keinen Grund, Angst zu haben. Natürlich gibt es reichlich Gründe – nur lösen sie nicht bei jedem ständig Angst aus. Das wäre ja noch unschöner, Henryk Broder!
Jetzt aber endlich: Schmäh mit Schmackes! Die TAZ führt unter dem Titel "Von der Hoffnung genarrt" ein Gespräch mit Arthur Schopenhauer, gestorben 1860.
Und der fegt los wie folgt:
"Es ist wirklich unglaublich, wie nichtssagend und bedeutungsleer, von außen gesehen, und wie dumpf und besinnungslos, von innen empfunden, das Leben der allermeisten Menschen dahinfließt. Es ist ein mattes Sehnen und Quälen, ein träumerisches Taumeln durch die vier Lebensalter hindurch zum Tode, unter Begleitung einer Reihe trivialer Gedanken",
lästert Arthur Schopenhauer in der TAZ.
Predigten ohne Zitate und Gedichte
Die Frommen unter uns wird eher das Gespräch interessieren, das die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG mit der Pfarrerin Angela Rinn und dem Kapuzinerbruder Christophorus Goedereis führt.
Rinn erklärt, wie aus ihrer Sicht eine gute Predigt nicht aussieht:
"Ich zitiere nie, ich mag keine Zitate in Predigten. Da hört für mich der Spaß auf. Und erst recht keine Gedichte! Paul Celan wurde von der Gruppe 47 ausgelacht, als der die 'Todesfuge' vortrug. Es ist eben sehr schwer, Gedichte auf Anhieb zu verstehen."
"Oh weh, oh weh", sagen wir: "Was sich die Pfarrerin Rinn da zusammenmixt!" - Sei‘s drum.
Weil es ja wirklich weihnachtet, hier doch noch etwas Besinnliches
Die TAZ druckt einen Leserbrief von Michael Ritz, in dem es heißt:
"Fragen Sie nicht, was 2016 Ihnen gebracht hat, sondern fragen Sie, was Sie 2016 gebracht haben." -
Wir wünschen Ihnen, liebe Hörer, das Sie bei der Bescherung das kriegen, was in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG Überschrift wurde:
"Produkte des Himmels."