Aus den Feuilletons

Literatur der Sesselpuper

Von Gregor Sander |
Kurz vor der Buchmesse mal wieder eine Debatte über die Qualität der deutschen Literatur und der angeblichen Erfahrungsarmut der deutschen Schriftsteller. Interessanter sind da die Berichte über Viktor Janukowitsch als König Midas.
Kurz vor der Leipziger Buchmesse wird mal wieder die Qualität der deutschen Literatur diskutiert. Jan Wiele überschreibt seinen Beitrag in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG zum Glück mit dem Satz:
"Literatur muss gar nichts."
Dem schließen wir uns gerne an und lassen uns von der FAZ zusammenfassen, was bisher geschah:
"Beklagt wird allenthalben die Erfahrungsarmut heutiger Schriftsteller: Sie war die Grundlage für Florian Kesslers Behauptung in der 'Zeit', junge Bürgerkinderliteraten lebten wie die Maden im Speck und hätten, wie Enno Stahl in der 'taz' sekundierte, 'nichts erlebt' und daher nichts zu erzählen."
Und so fragt Jan Wiele in der FAZ wie ein genervter Deutschlehrer kurz vor dem Abitur:
"Müssen wir also wirklich noch einmal den alten Graben zwischen Realismus und Formalismus, zwischen angeblicher Authentizität und angeblich weltfremdem Schreiben wieder aufreißen? Und muss man die Literatur immer wieder in den Schatten von neuen Filmen und Serien stellen, weil diese angeblich so viel 'welthaltiger' seien, anstatt die Möglichkeiten zu preisen, welche die Sprache dem visuellen Medium voraushat?"
Nein, müssen wir nicht. Stattdessen lesen wir lieber eine Literaturkritik in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG von Chrisopher Schmidt.
"Fabian Hischmanns für den Leipziger Buchpreis nominierter Debütroman 'Am Ende schmeißen wir mit Gold' ist der mit bekannten Versatzstücken und touristischem Nebennutzen – die Schauplätze Schwarzwald, Kreta, Brooklyn sind auch außerliterarisch beliebte Destinationen – gepimpte Erfahrungsbericht eines Bauchnabelpoplers, der hauptsächlich durch das Fernsehen sozialisiert wurde und ansonsten eben nur beinahe mal was erlebt hätte."
Kunst statt Theater
Etwas ganz Neues erlebt inzwischen die Schauspielerin Anne Tismer, die zu den Großen ihres Faches zählt oder zählte. Sie hat mit Regisseuren wie Jürgen Kruse gearbeitet, mit Peter Stein, Luc Bondy und Frank Castorf. Dirk Pilz hat sie für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG getroffen.
"'Es war ein Fehler, Schauspielerin zu werden', sagt sie. 'Ich hätte gleich machen sollen, was ich jetzt mache: bildende Kunst.' Sie arbeitet an Objekten und Gemälden, baut Skulpturen, entwirft Aktionen. Aber von Theater will sie nichts mehr wissen. Gar nichts."
Das Theater, sagt die 51-jährige Anne Tismer, sei ein schlimmer chauvinistischer Ort, und niemand sei wirklich an ihrer künstlerischen Arbeit interessiert gewesen. Ihr Glück hat sie nun woanders gefunden: In Togo.
"Vor sechs Jahren kam sie über das Goethe- Institut für ein Kunstprojekt erstmals nach Lomé, der Hauptstadt des kleinen westafrikanischen Landes – und blieb. Sie wohnt in einem Haus mit Freunden, ohne Kühlschrank, ohne Waschmaschine, aber mit eigener Toilette. In Berlin hat sie noch eine Wohnung, die sie demnächst aufgeben wird. Sie kann sich das nicht mehr leisten, und sie wohnt ohnehin die meiste Zeit in Togo."
Alles aus Gold
Ganz anders lebte da der ukrainische Ex-Präsident Viktor Janukowitsch. Inga Pylypchuk hat für die DIE WELT die Präsidentenvilla in Kiew besucht:
"Aus Gold ist hier alles, was aus Gold sein kann – Medaillen, Türklinken, Golfschläger. Die Besucher fanden in Janukowitschs Villa sogar einen goldenen Laib Brot, der circa zwei Kilo wiegt. Verwahrte der Präsident diesen vielleicht als Symbol der Landwirtschaft und des fruchtbaren Bodens der Ukraine?"
Nach der Flucht Janukowitschs macht sich der russische Schriftsteller Viktor Jerofejew in der FAZ Gedanken um das Nachbarland.
"Jetzt, da die Ukrainer buchstäblich mit der Waffe in der Hand das paternalistische System Janukowitschs gestürzt haben, möchte man Europa raten, das Land möglichst rasch in die Europäische Union aufzunehmen. Ich möchte behaupten, dass diese wesentlichen Dinge des Lebens in der Ukraine sich nicht von den europäischen Werten unterscheiden."
Bleibt abzuwarten, was die Ukrainer wirklich wollen und was Wladimir Putin zu Jerofejews Plänen meint.