Aus den Feuilletons

Mach's gut, Winnetou!

Pierre Brice als Winnetou
Pierre Brice als Winnetou © imago/United Archives
Von Tobias Wenzel |
Winnetou, der Häuptling der Apachen, war seine Paraderolle. In zahlreiche Karl-May-Verfilmungen stand Pierre Brice vor der Kamera und prägte das Indianerbild der Deutschen. Jetzt ist der Franzose mit 86 Jahren gestorben. Das Feuilleton erinnert sich wehmütig an ihn.
"Ende des Jahres will Günther Jauch seine ARD-Talkshow aufgeben. Wer rettet nun ab 2016 den heiligen Sonntag?", fragt die TAZ Friedrich Küppersbusch. Und der antwortet:
"Jürgen Klopp. Er brüllt zur Begrüßung alle an, haut den Aufnahmeleiter wegen strittiger Entscheidungen um und erfindet den Vollgastalk. Sobald einer was sagt, wird er gedoppelt. Ich würd's gucken."
Wer die Feuilletons vom Montag durchstöbert, könnte den Eindruck bekommen, Literatur-, Theater- und Fernsehkritiker wollten wenigstens an einem Tag im Jahr so gaga sein oder die Emotionen derart ungebremst in die Welt schleudern wie Friedrich Küppersbusch.
Zum Tod von "Winnetou"
"Schon einmal ist Winnetou gestorben, im dritten Teil der legendären Filmreihe seines Namens, und schon damals war sein Tod unerträglich."
- schreibt Christine Dössel in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zum Tod des französischen Schauspielers Pierre Brice.
"Auf Youtube kann man sich die Sterbeszene ansehen, sie hat noch immer den Effekt wie beim kindlichen Erstsehen, als man davon zu Tränen gerührt und bis ins Mark erschüttert war."
Spätestens an dieser Stelle des Nachrufs hört man die Tränen der Autorin auf die Tastatur tropfen. Da muss man ihr einfach zurufen:
"Winnetou war doch nur eine Rolle des Schauspielers Pierre Brice."
Als hätte sie den Einwand gehört, schreibt Christine Dössel:
"Aber Winnetou war seine Paraderolle. Seine Lebensrolle. Sein zweites Ich. Mit Pierre Brices Tod geht der edle Häuptling der Apachen, der Lieblingsindianer der Deutschen."
Auch Felicitas von Lovenberg hatte Winnetou ganz doll lieb. So sehr, dass sie, wie sie sich in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG erinnert, im Kindesalter die Biedermeier-Truhe ihrer Mutter als Pferd missbrauchte.
"Der Glaube an Winnetou war ein Glaube an sich selbst", schreibt die Literaturkritikerin.
"Das verband nicht nur Pierre Brice mit Winnetous Schöpfer Karl May, sondern, wie die Schriftstellerin Viola Roggenkamp einmal treffend beobachtete, in gewisser Weise auch den sächsischen Erfolgsautor Karl May mit dem sächsischen Komponisten Richard Wagner und den Kultcharakter der Festspiele von Bad Segeberg mit denen von Bayreuth."
"Nachtasyl" an der Berliner Schaubühne
Das wäre jetzt eine praktische Überleitung zum derzeitigen Ränke-Gezänke-Gestänker auf dem Hügel. Aber nee! Dann doch lieber richtiges Theater: Maxim Gorkis "Nachtasyl" in der Inszenierung von Michael Thalheimer. Zu sehen an der Berliner Schaubühne. Besprochen von Irene Bazinger in der FAZ:
"Die dreizehn Figuren hausen hier in einem der Länge nach aufgeschnittenen Abwasserkanal, in den sie hilflos hineinrutschen müssen und aus dem sie sich nur mit erheblicher Akrobatik heraushieven können. Ab und zu rinnt eine bräunliche Brühe herein, besudelt Kleider und Körper."
Thalheimer zeige "die Facetten des Niedergangs in einer melodisch chaotischen, aber souverän rhythmisierten Partitur".
Irene Bazinger ist beeindruckt von der "kunstvoll skulpturhaften Meisterlichkeit" dieser Inszenierung. Christine Wahl vom TAGESSPIEGEL scheint ein anderes Stück gesehen zu haben.
Schon die Überschrift zu ihrem Artikel, "Die Abgerutschten", lässt nichts Gutes erahnen:
"Man verliert sich zusehends in der Unschärfe zwischen plakativ hergezeigter Verrohung und diffus gesellschaftsanklägerischem Pathos", schreibt sie in ihrem Verriss.
Reisenotizen von Eugen Ruge
Warum loben oder verreißen, wenn man doch beides zugleich machen kann? Dachte sich wohl Tobias Lehmkuhl. Er findet die nun als Buch erschienenen Reisenotizen von Eugen Ruge "wenig originell".
Aber das sei kein Problem:
"So kann man sich beruhigt im Ohrensessel niederlassen und zustimmend nicken, wenn Ruge auf dem Flug von Dubai nach Hamburg über den ´Seelenquark` klagt, den die Menschen noch im entferntesten Winkel der Welt in ihre Telefone absondern. Dabei kann es passieren – aber wäre das so schlimm? –, dass man übers Nicken einnickt."
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