Aus den Feuilletons

"Missinformation und Misstrauen"

Miniaturfiguren geben sich die Hand vor einem Facebook-Logo.
Der ehemalige Vizepräsident von Facebook nutzt das Netzwerk inzwischen nicht mehr © imago / Ralph Peters
Von Gregor Sander · 14.12.2017
Auf Facebook geht erstmals eine Kurzgeschichte viral. Die Berliner Volksbühne zeigt "eine Choreografie als verkappte Sextherapie." Und Männer leiden mehr unter Grippe als Frauen, berichtet die TAZ.
"Asoziale Medien" stöhnt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG und meint damit ausschließlich Facebook. Bernd Graf fasst in seinem Text die Selbstkritik ehemaliger Topmanager des kalifornischen Unternehmens zusammen. Nach dem früheren Mitgründer Sean Parker äußerte sich nun auch der ehemalige Facebook-Vizepräsident, Chamath Palihapitiya in deutlichen Worten: "Facebook programmiert die Menschen." Er würde "diesen Scheiß" nicht mehr nutzen und verbiete es auch seinen Kindern strikt. Denn das Netzwerk beende "den öffentlichen Diskurs" und fördere stattdessen "Missinformation und Misstrauen".

Eine Kurzgeschichte geht viral

Doch auch wenn die ehemaligen Macher von Facebook nun den Daumen senken: Klar ist, so Graf, dass ein Zwei-Milliarden-Menschen-Netzwerk eine Form von Öffentlichkeit darstellt, die auf der ausschließlich von Facebook-Algorithmen gesteuerten Plattform unterhalten und informiert wird. Und damit können nicht nur amerikanische Präsidenten gemacht werden, wie in der Tageszeitung DIE WELT zu lesen ist. Eine Kurzgeschichte wird zum Internetphänomen: Alle streiten über Kristen Roupenians "Cat Person". Wer in diesem Fall nicht zu "allen" gehört, dem erklärt Hannah Lühmann:
"Roupenian ist als Schriftstellerin bisher nicht in Erscheinung getreten, weil sie, wie sie in einem Interview erzählt, ihre Zwanziger damit verbracht hat, 'dieses und jenes' zu tun: Abschlussarbeit in 'Afrikanischer Literatur', Friedenskorps in Kenia, Babysitten. Jetzt ist sie berühmt."
Und das alles nur, weil ihre Erzählung im englischsprachigen Raum in den sozialen Medien geteilt wird, wie verrückt. Es ist wohl das erste Mal überhaupt, dass ein Stück Literatur viral geht. Es scheint als könnte man sich dazu nicht verhalten, ohne davon zu sprechen, "was es mit einem macht".
Das erscheint noch erstaunlicher, wenn man erfährt wie diese Geschichte beginnt:
Die Begegnung zwischen Margot und Robert, so der Name der Protagonisten, bahnt sich analog an. Margot arbeitet neben dem Studium in einem Independent-Kino, verkauft Süßigkeiten. Robert verlangt von ihr eine Tüte mit "Red Vines".
Und so scheint die ganze Geschichte eher traditionell gearbeitet zu sein, einzig der Titel "Cat Person" verweist auf die schöne neue digitale Welt:
In der Selbstverschlagwortung als "Cat Person", die man oft in Datingprofilen findet, bündelt sich die Unmöglichkeit, etwas über jemanden zu wissen. Man schreibt "Cat Person" oder "Dog Person" als wäre damit alles gesagt.

Es wird getanzt, geschwitzt und gestöhnt

Wem dieser Internetliteraturhype zu viral ist, der kann ja ganz einfach in die Berliner Volksbühne gehen. Dort hat ja zurzeit jede Premiere ein hohes Aufregepotential, ganz real. Kann jetzt nur noch der Sex die Volksbühne retten?, fragt Sandra Luzina im Berliner TAGESSPIEGEL und bespricht dann die "Red pieces" der dänischen Choreografin Mette Ingvartsen. Die setzt sich mit Pornografie auseinander, mit Marquise de Sade und Pasolini. Es wird getanzt, geschwitzt und gestöhnt und die TAGESSPIEGEL-Kritikerin fasst ratlos zusammen:
"Der ausgelassene Nackttanz zu Swing-Musik soll zum Schluss dann pure Lebensfreude demonstrieren. Eine Choreografie als verkappte Sextherapie."
Astrid Kaminski von der TAZ hatte da offenbar mehr Vergnügen. Die vier Themenblöcke, die der Abend in der Volksbühne in viereinhalb Stunden abarbeitet, erfordern allerdings fast schon Castorf-Kondition.
Die damit einhergehende Verschiebung von künstlerischer Stimulanz- und Sogentfaltung hin zu einer Atmosphäre von After-Work-Seminaren mit Weißweinpausen schafft einen Nebenschauplatz: den verbissenen Kampf gegen die Müdigkeit, den ein nicht unbeträchtlicher Teil des Publikums bereits nach der ersten Runde verliert.
Wer in diesen dunklen und feuchten Tagen den Kampf gegen die Grippeviren verloren hat, dem erklärt die TAZ: Männer leiden mehr als Frauen, wenn sie Grippe haben. Zumindest, wenn man dem British Medical Journal glaubt. Grund dafür sei ein schlechteres Immunsystem und wer das nicht glauben will, der kann ja mal eine Umfrage in seiner Facebook-Gruppe starten.
Mehr zum Thema