Mit Eco fehlt ein Verfechter der europäischen Idee
Die Feuilletons erinnern an Umberto Ecos außergewöhnliche Karriere: Bestseller-Autor, Wissenschaftler und politisch engagierter Philosoph. Leider sei die Nachricht vom Tod des Italieners keine Falschmeldung gewesen, schreibt die "Welt am Sonntag".
"Da steht man nun, Mitte vierzig, als Kritiker aufs Filmfestival entsandt, [ ... ] und die Person direkt vor einem, mit dem Rucksack in freundlicher Farbe, mit der netten Brille und dem Ausweiskärtchen am Bändel, das ist doch – ist sie das?",
schrieb Dietmar Dath in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG über eine Zufallsbegegnung auf der Berlinale. Seit seiner Jugend kenne er diese Person aus dem Fernsehen. Nur kennt sie ihn überhaupt nicht. Darf man sie dann einfach ansprechen?
Abschied von einer "Überwältigten"
Ein neugieriger New Yorker Kellner hat Harper Lee einfach angesprochen, berichtete in der WELT Wieland Freund in seinem Nachruf auf die mit 89 Jahren gestorbene US-amerikanische Schriftstellerin. Dem Kellner habe sie erzählt, der Erfolg ihres ersten Romans "Wer die Nachtigall stört" habe sie schlicht "überwältigt". Und dazu geführt, las man heraus, dass sie keinen zweiten Roman vollendet hat. Aber der Einfluss dieses einen Buchs sei gewaltig gewesen:
"'Wer die Nachtigall stört' wurde zu einem wichtigen Text für die amerikanische Bürgerrechtsbewegung. Teils gedieh der Roman auf ihrem Boden, teils bereitete er diesen Boden Dank seiner Breitenwirkung."
Nachricht von Ecos Tod leider keine Falschmeldung
"Wer die Nachtigall stört" verkaufte sich 40 Millionen mal, vierzehn Millionen mal dagegen Umberto Ecos Roman "Der Name der Rose". "Im Internet kursiert eine Flut von Falschmeldungen", habe der italienische Autor vor einiger Zeit gesagt, schreibt Constanze Reuscher in der WELT AM SONNTAG:
"Diese war es leider nicht: Umberto Eco ist am späten Freitagabend im Alter von 84 Jahren gestorben."
Sein Überraschungsweltbestseller "Der Name der Rose" aus dem Jahr 1980 sei einzigartig und wegweisend für die späteren Erfolge gewesen:
"Der Kulturroman, im Mittelalter angesiedelt, war eigentlich ein historischer Krimi, durchtränkt von Kirchen- und Philosophiegeschichte vom 14. Jahrhundert bis zurück ins Altertum, spannend und lehrreich zugleich und Vorläufer einer neuen literarischen Popkultur des ausgehenden 19. Jahrhunderts: eines historischen Romans, der dann bis zu Dan Brown und unzähligen, noch banaleren Kopien durchdekliniert wurde."
Claudius Seidel erzählt in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG eine Anekdote über den Zeichentheorie-Professor, der Eco auch war:
"Einer populären Legende zufolge wurde Eco einmal gefragt, mit wem er sich identifiziert habe, als er seinen Bestseller 'Der Name der Rose' schrieb – und Eco, heißt es, habe geantwortet: 'Natürlich mit den Adjektiven.'"
Constanze Reuscher ruft in der WELT AM SONNTAG auch an den politischen Umberto Eco ins Gedächtnis, den Berlusconi-Gegner, der unermüdlich an die europäische Idee erinnert und sogar Eurogeldscheine mit den Antlitzen von Thomas Mann und Claude Chabrol gefordert habe. Nur die Kultur könne Europa einen, habe Eco geglaubt.
Offene Grenzen oder Abschottung?
Europa und die Flüchtlingskrise hatten die Feuilletons dieser Woche fest im Griff. "Alles Gute wird nur aus der Not geboren", mit diesem Satz habe, berichtete die FAZ, der französische Publizist Alfred Großer erklärt, warum er so optimistisch sei, dass Europa die Flüchtlingskrise meistere. In der ZEIT erklärte der ehemalige Verfassungsrichter Udo Di Fabio dagegen, "wozu Grenzen gut" seien. Seine überraschende, auch etwas provozierende Antwort: "um die Welt offen zu halten." Jedenfalls müsse man zur Kenntnis nehmen:
"Die Migrationskrise hat das Schönwettersystem von Schengen und Dublin zusammenbrechen lassen."
Was aber wäre, wenn die Zeit vor Schengen zurückkehrte? Fragte die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG acht Autoren. Und der Schwede Richard Swartz berichtete als Antwort darauf über seine alten Reisepässe:
"Manchmal blättere ich in den makulierten Pässen, um dann auf jeder Seite an meine damals buchstäblich begrenzte Freiheit erinnert zu werden: Stempel auf Stempel, in verschiedenen Farben und Formen. Eine Art Chronik im Zeichen eines gespaltenen, armseligen Europa."
Goldener Bär für "Fuocoammare"
"[Um diesen] Film wird die Bären-Jury am Ende kaum herumkommen", schrieb schon zu Wochenbeginn Peter von Becker im TAGESSPIEGEL über "Fuocoammare", Gianfranco Rosis schließlich sogar mit dem Goldenen Bären ausgezeichneten Dokumentarfilm über die Flüchtlingsinsel Lampedusa. Und Christiane Peitz berichtete in derselben Zeitung über den Filmemacher:
"Die Leichen im Schiffsrumpf, er wollte sie nicht filmen. Ein zu hartes Bild. Aber der Kapitän des Rettungsschiffs sagte zu Gianfranco Rosi, es sei seine Pflicht, es zu tun. Weil es gilt, den Blick nicht abzuwenden, wenn Menschen vor unseren Augen sterben. Danach konnte Rosi nicht weiterfilmen, es brachte ihn an die Grenze."
Mit Leichen sollte man aber nicht enden. Drum noch einmal Dietmar Dath, der einen in der FAZ auf ganz andere Gedanken brachte, indem er nicht verriet, welche Berühmtheit direkt vor ihm auf der Berlinale stand:
"Das gehört nicht hierher, das sollen sich die Leute beim Lesen dieses Textes einfach selbst ausdenken, da können sie einsetzen, wen sie mögen – zu verraten, um wen es geht, wäre doch mindestens so indiskret, als wenn man diese Künstlerin in der Schlange jetzt einfach ankumpeln würde: Hallo, Sie sind doch die, na, wissen Sie noch, der kleine Fernseher in der Wohnung meiner Mutter, ja, der mit dem roten Gehäuse, da waren Sie immer drin ..."