Mit leisem Spott
Die Feuilletons sind heute ziemlich ätzend: In der "WELT" verneigt man sich genau den einen Tick zu tief vor Anselm Kiefer. Anlass ist die aktuelle Kiefer-Ausstellung im Pariser Centre Pompidou. Währenddessen gibt sich die "TAZ" bärbeißig wegen Facebooks Jahresrückblick und die "SZ" druckt ein Interview mit flüchtlingskritischen Zwischentönen.
"Bye-bye Traurigkeit" titelt die TAGESZEITUNG...
Doch freuen Sie sich deshalb bitte nicht auf eine heitere Presseschau, liebe Hörer.
Die frischen Feuilletons sind nämlich papierne Monumente der Ernsthaftig- und Witzlosigkeit.
Und das gilt in ausgezeichneter Weise für den "Bye-bye Traurigkeit"-Artikel, der in der TAZ-Rubrik "Die Gesellschaftskritik" erscheint.
Das Kürzel BG motzt darüber, dass Facebook seinen Nutzern mittels ausgefuchster Algorithmen Jahres-Rückblicke ohne traurige Erinnerungen anbietet.
"Wer dem Netzwerk rechtzeitig mitteilt, dass er sich getrennt hat oder dass jemand verstorben ist, dem bleiben Fotos der Personen erspart", erklärt BG das Verfahren...
Und lässt augenblicklich die Moralkeule niederfahren.
"So schnell ist der Netzwerkfrieden hergestellt. Schon denkt keiner mehr daran, dass an Europas Grenzen Menschen frieren und hungern. Genüsslich wenden wir uns der Weihnachtsgans zu – und vergessen, dass wir Facebook noch mehr Privates übermittelt haben. Aber Hauptsache, es versorgt uns mit einem guten Gefühl" ...
ätzt BG in der TAZ...
Wir aber staunen, wie man in die paar Zeilen so viel politische Korrektheit und moralische Bärbeißigkeit zwängen kann.
"Keiner hantiert mit abgründigen Assoziationen so virtuos"
Wie viel Tiefe und Schwere, Dunkles und Dräuendes sich in einem einzigen Kunstwerk amalgamieren lässt, das lernt man bei Anselm Kiefer.
In der Tageszeitung DIE WELT bespricht Hans-Joachim Müller nun die aktuelle Kiefer-Ausstellung im Pariser Centre Pompidou und stellt mit Blick auf die internationalen Erfolge des Artisten fest:
"Überall scharen sich die Andächtigen um den Künstler-Propheten Anselm Kiefer. Nur wir haben hierzulande noch immer nicht ganz verstanden, was er zu verkünden hat."
Vernehmen Sie auch den leisen Spott, liebe Hörer?
Wenn uns nicht alles täuscht, verbeugt sich der WELT-Autor Müller vor Kiefer um genau den Tick zu tief, der die schelmische Absicht verrät.
Hier eine Kostprobe:
"Kiefers Methode ist der weite, der offene, der tendenziell unendliche Assoziationsraum, die grandiose Phantasterei zwischen jüdischer Erzählung, altägyptischer Symbolik, faschistischer Ästhetik, deutschem Erlösungsphantasma und übermächtigem Sternenhimmel. [...] Keiner malt so ergreifende Landschaften, baut so gewaltige Räume, bedeckt sie mit Schnee und Nebel und Wolken und lässt die brüchige Farbe wie Flechten an ihnen hochwachsen, keiner hantiert mit abgründigen Assoziationen so virtuos wie Kiefer."
Und dann dieser letzte Satz von WELT-Autor Müller:
"Kunst und Leben sind [bei Kiefer] nicht versöhnt, aber das krude Leben ist angesichts der Ungeheuerlichkeit der Kunst vollends zur Lächerlichkeit geschrumpft."
Eben damit, mit dem kruden Leben, befassen sich Obermeisterin Elisa Weise und Zugführer Florian Wackerbauer berufsmäßig Tag für Tag: Sie arbeiten bei der bayerischen Bereitschaftspolizei.
"Die kommen mit komplett falschen Vorstellungen nach Deutschland"
Und weil Polizisten laut SÜDDEUTSCHE ZEITUNG "soziale Spannungen so schnell wie kaum jemand sonst" spüren, kommen Weise und Wackerbauer in der Reihe "Was ist deutsch?" ausführlich zu Wort, nicht zuletzt zur Flüchtlingssituation.
Von der hübschen 25-jährigen Weise möchte die SZ-Autorin Sonja Zekri wissen, wie junge Männer aus Syrien und Afghanistan reagieren, "wenn sie auf eine blonde Polizistin treffen".
"Ich gehe mit denen ganz normal um [...] [antwortet Weise]. Ich merke aber allein an der Art, wie manche mich anschauen, dass der Respekt fehlt, dass sie sich lieber was von einem Mann sagen lassen wollen. In Einzelfällen gibt es auch unverschämte Flüchtlinge. [...] Einer hat mal gesagt: I want my hotel key and my iPhone. Und wir: Du kriegst keinen Hotelschlüssel und auch kein iPhone. Die kommen mit komplett falschen Vorstellungen nach Deutschland."
So die Polizistin Elisa Weise in der SZ.
Überrascht es Sie auch, liebe Hörer, dass das linksliberale SZ-Feuilleton ein solches Polizisten-Interview samt flüchtlingskritischen Zwischentönen druckt?
Leider bleibt keine Zeit mehr, um über die tieferen Gründe zu spekulieren.
Uns bleibt im Blick auf die Gesamtsituation nur, die SZ-Überschrift zu unterstreichen.
Sie lautet: "Wir werden viel Arbeit haben."