Mit Luther abschließen? - Das ist die neue Luther-Debatte
Nach dem Reformationsjubiläum ist vor dem Reformationsjubiläum. Das jedenfalls resümiert die FAZ und hat schon 'mal die Tage gezählt, die es noch braucht bis zur 1000-Jahr-Feier. Und die WELT fragt, wie es passiert, dass man - wie eben Luther - zur Person der Zeitgeschichte wird.
"Ende Legende", titelt die WELT und gibt das Thema des Tages vor: Mythen von Mythen, also die Entstehung von Mythen, denen wir aufsitzen, weil wir ihnen aufsitzen wollen. Wie zum Beispiel bei - ein letztes Mal, versprochen - Luther.
Die FAZ lässt sich ihren Nachruf auf das Reformationsmythosjubiläumsjahr von Oliver Maria Schmitt schreiben, dem Chefredakteur der Titanic. "Eine Erfolgsbilanz", jubelt Schmitt und freut sich schon auf die Fortsetzung: "Noch 182.621 Mal schlafen, noch einmal fünfhundert Jahre warten … bis zum nächsten großen und dann tausendjährigen Jubiläum." - "Das Reformationsjubiläum 2017 war ziemlich nahe an 'großartig'", zitiert Schmitt Margot Käßmann.
Ablassbrief von Luther passt irgendwie nicht
Doch Schmitt ergänzt: "Von dem spektakulären Fund der Museumsdirektorin Vera Lüpkes, die erst kürzlich in der spanischen Nationalbibliothek einen Ablassbrief mit dem Namen Martin Luthers entdeckte, wird … nicht berichtet. Egal, es gibt schließlich Wichtigeres mitzuteilen: In der heiligen Stadt Rom sei gerade ein 'Playmobil-Luther' unterwegs … 'und (wieder Zitat Käßmann) die Menschen in Rom freuen sich sehr über ihn'."
Mythos ist halt eine Frage der Gewichtung, nicht nur bei Luther. Die WELT-Überschrift "Ende Legende" etwa bezieht gar nicht auf ihn, sondern auf Richard Löwenherz. Berthold Seewald resümiert: "Mit maßgeblicher Unterstützung Hollywoods wurde Richard Löwenherz zum bekanntesten Herrscher des Mittelalters. Eine Ausstellung in Speyer zeigt, was er wirklich war: ein Killer und ein Bankrotteur." Seewald meint: "Wie Richard seine – nach heutigen Maßstäben – extrem sprunghafte und geradezu ruinöse Politik schon seinen Zeitgenossen so verkaufen konnte, dass er bald zur Ikone des Rittertums aufstieg", das sei "das Erstaunliche an diesem königlichen Leben… Den Rest besorgte der Romantizismus des 19. Jahrhunderts – und natürlich Hollywood."
Entmystifizierung in der taz
Zum Mythos gehört, wenn der Mythos Pech hat, die Entmystifizierung. In der TAZ lässt der Fall Emil Nolde Katrin Seddig die richtigen Fragen stellen. Zuerst erzählt Seddig, wie gern sie Filme von Polanski sieht und Filme mit Klaus Kinski:
"Die Sache ist nur die: Roman Polański … wird zur Last gelegt, … eine betäubte Dreizehnjährige missbraucht, vielleicht sogar vergewaltigt zu haben, und möglicherweise noch eine weitere Frau. Wie kann man also jetzt einen Film von ihm lieben und ihn dadurch irgendwie auch ehren, wenn man weiß, dass er so ein Mensch ist? Wie ist es aber auch mit dem verrückten Klaus Kinski, dem seine eigene Tochter vorwarf, sie missbraucht zu haben?"
House of Cards scheint Katrin Seddig gar nicht zu schauen. Diesen Fall aber kommentiert Claudia Schwartz in der NZZ: "Das ist tatsächlich das Schlimmste, was Netflix mit seinem Serien-Flaggschiff … passieren konnte: Dass die grotesk überzeichnete Figur des charakterlich verderbten Frank Underwood ins schmählich schiefe Licht des real existierenden Hollywood rückt, wo am Sonntag Vorwürfe der sexuellen Belästigung auch gegen den Hauptdarsteller der Serie, Kevin Spacey, bekanntgeworden sind."
"Ende Legende" bei Luther - eine ganz neue Debatte
Katrin Seddig verehrt Emil Nolde. Der, schreibt sie, "galt lange als ein von den Nationalsozialisten verfolgter Künstler … Dass er selbst sich sehr zu den Nationalsozialisten hingezogen fühlte, dass er begeistert von ihren Ideen war und antisemitisch eingestellt … , das verschwieg er bekanntlich nach dem Krieg … Was aber ist, wenn unsere Helden, unsere Künstler, deren Werk wir lieben, … sich nun als Menschen erweisen, die moralisch mangelhaft waren, die vielleicht unverzeihliche Dinge begangen haben – sogar Verbrechen? Können wir sie dann noch verehren für ihre Kunst?"
Um noch einmal auf Luther zurück zu kommen. Oliver Maria Schmitt erinnert uns in der FAZ an das folgende Zitat: "'Die Heiligenlegenden entlarvte Luther als Märchen', hatte der Kirchenkritiker und Spielverderber Karlheinz Deschner einst geschrieben. 'An den Bibellegenden hielt er fest; am Teufelsglauben auch; am Hexenwahn auch; an der Ketzervertilgung auch; am Antisemitismus auch – am Kriegsdienst, an der Leibeigenschaft, den Fürsten. Man nennt es: Reformation.'"
Die nächsten zwölf Monate können wir erörtern, ob die letzten zwölf Monate für Luther eher "Ende Legende" bedeutet haben oder nicht doch das Gegenteil. Und wir sollten unsere Feuilletons besser im Auge behalten: Was die machen, ist letztlich nichts anderes als Arbeit am Mythos – an den Legenden und Mythen der nächsten Generation.