Aus den Feuilletons

Neue Sehweisen

Ein Mann trägt die Datenbrille Oculus Rift
Ein Mann trägt die Datenbrille Oculus Rift © picture alliance / dpa / Sergey Galyonkin
Von Maximilian Steinbeis |
Die "Süddeutsche Zeitung" stellt die Virtual-Reality-Brille namens Oculus Rift vor, in die Facebook angeblich gerade zwei Milliarden Dollar investiert hat. "Das Gerät sieht aus wie eine wenig gelungene Kreuzung aus Ziegelstein und Skibrille."
Es gibt das "Mögliche", das "Menschenmögliche" und das "Legomögliche". Diese Dreifaltigkeit entnehmen wir der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, und sie ist durchaus als Steigerung intendiert: Das Legomögliche, so Philipp Stadelmaier in seiner Rezension des Films „Lego Movie“, ist einfach der totale Wahnsinn, ein Kosmos, in dem es
"85 Milliarden Möglichkeiten gibt, um sieben gleichfarbige Legosteine miteinander zu kombinieren", einen "wild rotierenden Kreativitätshurrikan permanenter Entschöpfung und Neuschöpfung", und nicht zuletzt einen Film aus lauter computergenerierten Legosteinen, der "bis heute weltweit schon mehr als 400 Millionen Dollar eingespielt hat."
In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG warnt Stefan Schulz, dass man dem "Alibikind", das man mit ins Kino genommen hat, hinterher erklären muss,
"was Batman, C-3PO, Shaquille O’Neal, Shakespeare, Lincoln, Neo, Superman und der Polizist mit den zwei Gesichtern in einem Film zu suchen haben, wer die überhaupt sind und warum deren Geschichte abwechselnd im Wilden Westen, in der Megacity, im Jenseits, im Werkstattkeller einer Familie und in der Phantasie spielt."
Jürgen Kaube nimmt ebenfalls in der FAZ den Lego-Film zum Anlass, ein Buch über die Erfolgsgeschichte des dänischen Klötzchenbauers zu besprechen, und schließt mit folgender Betrachtung:
"'Eindeutig Lego, aber noch nie dagewesen' lautet das derzeitige Motto der Dänen – eine Paradoxie also, die sich auch am neuen Film, sofern er erfolgreich ist, bestätigt finden wird. Und wenn er nicht erfolgreich sein sollte? Na, dann war er eben nicht eindeutig Lego."
Wem nach dieser Lektüre etwas schwirr im Kopf ist, der sollte nach der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG greifen, denn dort erfährt er Labsal: Die NZZ nämlich macht mitten im schönsten April ihr Feuilleton mit einem Foto von einem zugefrorenen See und einem Text des Schriftstellers Alain Claude Sulzer auf. "Erklären Sie einem Finnen die Schweiz", steht drüber, denn Sulzer war in Finnland und hätte dort den Finnen gern erklärt, dass die Schweizer gar nicht so ausländerfeindlich sind. War aber gar nicht nötig.
"Erklären Sie einem Finnen die Schweiz. Versuchen Sie es und Sie werden merken, sie interessiert ihn nicht sonderlich."
Der Text ist sehr lang, aber von einigen Betrachtungen zur Ausländerquote in finnischen und schweizerischen Orchestern abgesehen kommt nicht recht viel mehr, als dass, nun ja, den Finnen die Schweiz piepegal ist. Wie umgekehrt vermutlich auch. Respekt, liebe NZZ: Wer seine ganze Aufmacherseite mit so viel Nada füllt, der kann von sich behaupten, tief in den Raum des Legomöglichen vorgestoßen zu sein.
Wo findet der hungrige Leser Gedankennahrung an diesem Tag? Vielleicht in der WELT? Dort protokolliert Dankwart Guratzsch in großer Ausführlichkeit eine Bürgerinformationsveranstaltung in Bad Homburg "im Rahmen des Genehmigungsverfahrens für Windvorrangflächen am Taunusrand", was sich kein bisschen spannender liest als es klingt. Oder in der BERLINER ZEITUNG? Dort klagt Nikolaus Bernau anlässlich der Debatte ums Kulturforum, "dass niemand in Berlin wirklich neu denken will".
Nein, bloß nicht, da schießen wir uns lieber gleich komplett hinaus ins leere schwarze All des Legomöglichen, und das ermöglicht uns die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG mit einem Bericht über eine brandneue "Virtual-Reality-Brille namens Oculus Rift", in die Facebook angeblich gerade zwei Milliarden Dollar investiert hat.
"Das Gerät sieht aus wie eine wenig gelungene Kreuzung aus Ziegelstein und Skibrille, doch in seinem Inneren sind zwei kleine hochauflösende Bildschirme direkt vor die Augen des Benutzers montiert. Egal, wohin man blickt oder den Kopf wendet, niemals sieht man einen Bildrand, sondern nur die Simulation, die die Brille gerade abspielt. In der Schachtel vor den Augen sind ganze Welten versteckt."
Klingt super, leidet aber, so SZ-Autor Michael Moorstedt, noch an "einigen Kinderkrankheiten":
"Da ist zum Beispiel der Nebeneffekt, dass bei einem Blick durch die Brille Soll- und Ist-Zustand der Körperwahrnehmung im Raum voneinander abweichen. Sehnerv, Innenohr und Kleinhirn senden nicht synchron. Mit anderen Worten: Die Menschen, die schon heute der Zukunft beiwohnen wollen, laufen Gefahr, dass ihnen gehörig übel wird."