Neues aus der Unikatenkammer feuilletonistischer Sprachsalti
04:18 Minuten
Martha Argerich feiert 80. Geburtstag. Die "Welt" druckt deswegen eine Lobhudelei, in der die Pianistin als "die vielgeliebte Elefantin der poetischen Zärtlichkeit" im "bisweilen hohl tönenden Geschirrladen der Klassik" gepriesen wird.
Nach manchen Feiertagen merkt man den Zeitungen an, dass sie bei verminderter Besetzung in den Redaktionen halbherzig aus dem Stehsatz gebastelt wurden. Wenigstens kann man sich dann an Gedenktagen festhalten. Es stehen an: der 80. Geburtstag von Martha Argerich und der 50. Todestag von Georg Lukács.
Um die Pianistin kümmert sich Manuel Brug in der WELT und besingt ihre "große, kristalline, eigenwillige wie komponistenaufmerksame Klavierkunst als einzigartige Mischung aus Emotion, Ekstase, Egozentrik". Das Epitheton "komponistenaufmerksam" dürfte Eingang in die Unikatenkammer feuilletonistischer Sprachsalti finden. Aber genau deswegen lesen wir ja Feuilletons, um diese herrlichen journalistischen Amalgame aus Gewäsch und Brillanz zu genießen.
Hier schreibt der Tastentiger über die Tastentigerin
Wie also klingt das Spiel der Argerich nach Brug? Von ihrem "melodiös-singenden Mozart" ist da die Rede und von ihrem "hintersinnig-bohrenden Schumann". Der Autor jubiliert über den "grandios-regalen Tschaikowsky" sowie – und jetzt bitte anschnallen! – "ihren romantisch-wehmütigen Rachmaninow, ihren krachend-spitzen Prokofiew, ihren vital-ironischen Schostakowitsch".
Man merkt: Hier schreibt ein Tastentiger über eine Tastentigerin, die er tatsächlich auch so nennt. Und wo wir bei den krachend-spitzen Wortwirbeln sind, darf dieses Grand Finale nicht unzitiert bleiben: "Argerich musste seither viel Porzellan zerschlagen, um zur besten Form aufzulaufen. Doch im bisweilen hohl tönenden Geschirrladen der Klassik ist sie die vielgeliebte Elefantin der poetischen Zärtlichkeit."
Man merkt: Hier schreibt ein Tastentiger über eine Tastentigerin, die er tatsächlich auch so nennt. Und wo wir bei den krachend-spitzen Wortwirbeln sind, darf dieses Grand Finale nicht unzitiert bleiben: "Argerich musste seither viel Porzellan zerschlagen, um zur besten Form aufzulaufen. Doch im bisweilen hohl tönenden Geschirrladen der Klassik ist sie die vielgeliebte Elefantin der poetischen Zärtlichkeit."
Das hätte kein Elefant in einer anderen Zeitung zärtlicher ausdrücken können.
Rechts wie links verpönt: Georg Lukács
Kommen wir übergangslos zu Georg Lukács, dem großen Gespenst der linken Kulturkritik, dem Geistestitan, der von seinen eigenen Untaten verfolgt wurde, der Menschen erschießen ließ, dem Stalinismus huldigte und 1970 den Goethe-Preis der Stadt Frankfurt erhielt.
Bernd Stegemann, Dramaturg am Berliner Ensemble, huldigt Lukács in der WELT als dem "vergessenen Dialektiker": "Ein Denker, der rechts wie links verpönt ist, könnte für unsere verworrene Gegenwart genau der Richtige sein", heißt es da – obwohl zwischen vergessen und verpönt ja ein gewisser Widerspruch besteht.
Weiter schreibt Stegemann über den marxistischen Intellektuellen: "Seine Bemerkungen zum Meinungskorridor, den kapitalistisch geführte Zeitungen notwendigerweise festlegen müssen, sind ebenso erhellend, wie seine nüchternen Kommentare zur 'Skandalmacherei' der 68er-Studentenbewegung hellsichtig waren."
Die raffinierteste Verteidigung der Klassengesellschaft
Das mit dem Meinungskorridor war damals direkt auf die FRANKFURTER ALLGEMENE ZEITUNG gemünzt, was deren Gedenkartikel aus der Feder des Philosophen Dieter Thomä nicht weniger enthusiastisch macht. Allerdings handelt es sich mehr um die Besprechung eines gerade erschienenen Bands mit Lukács-Texten, an denen Thomä auch Kritik übt, indem er beispielsweise schreibt:
"Vor Lukács' Augen finden nur diejenigen Schriftsteller Gnade, die mit dem Überblick über das große Ganze protzen. So befördert er Honoré de Balzac, der sich die Rolle des allwissenden Autor-Königs, des royalistischen Realisten anmaßt, zum Vorbild für zeitgenössische Literaten. Was er dann über Letztere – etwa über James Joyce – schreibt, ist erschütternd platt.
"Vor Lukács' Augen finden nur diejenigen Schriftsteller Gnade, die mit dem Überblick über das große Ganze protzen. So befördert er Honoré de Balzac, der sich die Rolle des allwissenden Autor-Königs, des royalistischen Realisten anmaßt, zum Vorbild für zeitgenössische Literaten. Was er dann über Letztere – etwa über James Joyce – schreibt, ist erschütternd platt.
"Sowohl Stegemann als auch Thomä erwähnen, dass jemand wie Lukács, der stets am Realismus in der Kunst und an den ökonomischen Realitäten im Leben festhielt, mit dem derzeit modischen Sprachzauber der politisch korrekten, woken Aktivisten nicht nur nichts hätte anfangen können, sondern ihn als "die beste, da raffinierteste Verteidigung der Klassengesellschaft" entlarvt hätte.
Thomä fasst das Leben dieses höchst zerrissenen Denkers in die kurze und treffende Formulierung, er sei "mitgefangen, mitgehangen" gewesen: "in einem Jahrhundert der Gewalt. Dickfellig schlug er sich durch die Zeit, eigensinnig erfasste er sie in Gedanken."