Niederungen der Männlichkeit
Agent James Bond muss Alkohol einsetzen, um sich eine Frau gefügig zu machen. Autor Karl Ove Knausgård hat Ärger mit einer Feministin. Und bei den zornigen weißen Männern der Pegida laufen noch ganz andere Ängste mit, wissen die Feuilletons.
007 wird Pazifist. Im neuen James-Bond-Film "Spectre". Sie, liebe Hörer, mag das jetzt nicht so sehr erschüttern. Aber den Filmkritiker Jan Küveler stürzte diese Erkenntnis offensichtlich in eine tiefe persönliche Krise. In der WELT schrieb er über James Bond:
"Seine Lieblingswaffe war immer schon das Wort. Mittlerweile sind ihm Pistolen aber so egal, dass er seine angestammte Walther PPK gegen eine VP9 von Heckler & Koch eingetauscht hat. Später wirft er sie ganz weg. Man hat ja schon länger den Eindruck, dass dieser Bond verlottert."
"Kann das sein? Darf das sein? James Bond hat es nötig, eine Frau betrunken zu machen, um sie ins Bett zu bekommen?", fragte, ebenso erschüttert, der Kritikerkollege vom SPIEGEL, Lars-Olav Beier:
"Bond steigt herab in die Niederungen der Männlichkeit und greift zu den billigen Tricks von Otto Normalverführern. [...] Niemand konnte ahnen, dass 007 so tief fallen würde."
Männer- und Frauenbilder – ein heikles Thema in Schweden. Behauptete jedenfalls der dort lebende norwegische Autor Karl Ove Knausgård im Gespräch mit Ijoma Mangold von der ZEIT. Es ging um Knausgårds radikales autobiografisches Romanprojekt. Aber dann sprach ihn Mangold auf die Auseinandersetzung mit der schwedischen Literaturwissenschaftlerin und Feministin Ebba Witt-Brattström an. Unter anderem habe sie ihm vorgeworfen, der Karl Ove aus dem autobiografischen Romanprojekt unterdrücke seine Frau, erzählt Knausgård:
"Dann kam noch hinzu, dass ich einmal die Bemerkung gemacht hatte, dass ich mit jeder Frau schlafen will, die ich sehe."
Zum Glück war und ist Ijoma Mangold keine Frau. So konnte sich der norwegische Schriftsteller problemlos auf das Interview konzentrieren. Das zweite heikle Thema in Schweden, also neben der Gender-Frage, ist Knausgård zufolge übrigens die "Einwanderung".
Fremde unter Fremden
Die Einwanderung der Flüchtlinge, die Reaktionen darauf und die möglichen Folgen waren Thema Nummer eins in den deutschen Feuilletons dieser Woche. Thomas Assheuer malte in der ZEIT ein Horrorszenario aus, in dem, angestoßen von geistigen Brandstiftern und mitgetragen von Mitläufern, die sich mit ihren Ängsten allein gelassen fühlten, in ganz Europa wieder autoritäre Nationalstaaten entstünden, die dann "Krieg gegen Flüchtlinge" führten.
"[...] gegen die Polit-Hooligans von Pegida und AfD braucht es jede Stimme, die der Zivilgesellschaft und ebenso die der Medien"
... schrieb Michael Jürgs im TAGESSPIEGEL und forderte einen "Patriotismus der Demokraten". Und Andreas Zielcke prophezeite in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, es werde langfristig überall auf der Welt auf "offene Grenzen" hinauslaufen und nannte ein philosophisches Argument. Er paraphrasierte und zitierte Jürgen Habermas:
"Es gibt keine Fremden nur jenseits der Grenze. Wir können uns selbst nur identifizieren, indem wir uns zugleich durch ‚gegenseitige Perspektivenübernahmen' als Fremde unter Fremden wahrnehmen."
"Unter uns Fremden" lautete folgerichtig die Überschrift zu diesem SZ-Artikel.
Jetzt stelle man sich vor, wie ein Pegida-Anhänger versucht, sich mit Habermas als Fremder im eigenen Land zu fühlen, um dann die Flüchtlinge als ebenfalls Fremde, also Gleiche umarmen zu können. Gibt es eine Vorstellungskraft, die so stark ist?
"Werden wir immer weniger, / enden wir wie die Armenier!"
... skandierte ein Pegida-Mann in München. Patrick Bahners von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG hat dankenswerterweise dieses Meisterwerk pegidaischer Denk- und Dichtkunst vor dem alles fressenden Nichts bewahrt. Nikolai Klimeniouk spitzte für die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG an einem Infostand in Dresden die Ohren, an dem gefordert wurde, Obama solle seinen Nobelpreis an Putin abgeben:
"Die Presse lügt, Pegida sind verwirrte Leute, nicht radikal genug, sie verstehen nicht, dass sie uns vernichten wollen, wie Syrien und die Ukraine, dass sie Flüchtlinge als Waffe gegen uns einsetzen [...]."
Der Journalist fragte nach: wer denn mit "sie" gemeint sei. "Wie wer?", bekam er als Antwort. "Amerikaner, Banken, Großkonzerne. Und die, die dahinterstecken."
Anhänger von Verschwörungstheorien lebten in einer Blase, formulierte Angie Pohlers im TAGESSPIEGEL. Diese Menschen bastelten sich ein Weltbild, das ihnen Orientierung, Erklärung und Hoffnung gebe:
"Orientierung – durch Benennung klarer Feindbilder. Erklärung – mit pseudowissenschaftlichen und okkulten Theorien. Hoffnung – dass sich der Krebs innerhalb kürzester Zeit mithilfe von Chlordioxid oder Backpulver heilen lässt."
Solch krude Thesen nähmen Pegida-Anhänger gerne an, weil sie oft "einen Sündenbock" identifizierten und "sich jeder vernünftig abwägenden Diskussion" entzögen. Zum Beispiel dem Argument, Flüchtlinge seien gar keine Feinde, sondern Menschen in Not, die sogar – oh Schreck! – zu Freunden werden könnten. Und Freunde versucht man nicht etwa zu verscheuchen, sondern zu halten.
Wie, konnte man Jens Malte Fischers Rezension eines Briefwechsels in der SZ entnehmen. Als Karl Wolfskehl erfuhr, sein Freund, der Dichter Stefan George, wolle wohl auswandern, schrieb er ihm folgenden Brief:
"Lieber Stefan, Verehrter und Geliebter, ich wage nicht auch nur wie zu einer Möglichkeit hierzu aufzublicken und ich erkläre Ihnen daß es nimmer geht. Daß ich sie nimmer lasse. Daß ich kein Opfer kenne, das solches zu hindern mir zu schwer wäre. Sie haben den einzigen Punkt berührt in dem ich mich nicht bangen lasse. Sie dürfen nicht von uns ziehen. Wir sind unlöslich verkettet."