Aus den Feuilletons

Obdachlos im Coronawinter

04:20 Minuten
Eine obdachloser Mann läuft mit einem Einkaufswagen mit Jacken und Decken am Zoologischen Garten über die Straßen.
Für Obdachlose wird dieser Winter noch härter als in anderen Jahren. © picture alliance/dpa | Annette Riedl
Von Arno Orzessek |
Audio herunterladen
Der Winter unter Coronabedingungen ist für Obdachlose ziemlich hart, berichtet die Taz: Wegen der Ansteckungsgefahr öffnen viele Tagesaufenthalte nicht. Kein Aufwärmen möglich. Und die Notübernachtungen belegen nicht alle Betten.
"Wenn die Nacht am tiefsten ist", titelt die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG mit Blick auf die Wintersonnenwende an diesem Montag und nimmt selbige zum Anlass, über das Sterben des grönländischen Polarfahrers Jørgen Brønlund zu berichten.
Nein, den müssen Sie nicht kennen! Brønlund erfror 1907 als letztes Mitglied der "Danmark-Expedition", die ein unbekanntes Stück der grönländischen Nordostküste erkunden wollte.

Wie kommt der Fleck ins Tagebuch?

Mehr als ein Jahrhundert lang wurde gerätselt, was es mit dem schwarzen Fleck auf sich hat, den man in Brønlunds Tagebuch unter dessen finaler Unterschrift fand. Und nun hat die Universität im dänischen Odense die chemische Struktur des Flecks bestimmt. Man fand Spuren von pflanzlichen und tierischen Fetten, von verschmortem Gummi, Petroleum und menschlichen Fäkalien. Worauf das schließen lässt, erläutert der FAZ-Autor Tilman Spreckelsen:
"Brønlunds 'Lux'-Petroleumbrenner benötigte Spiritus zum Anzünden, den der Grönländer nicht hatte. Offenbar formte er aus Talg und den eigenen Exkrementen eine Art Kerze, die als Anzünder dienen sollte. Dass aber die Petroleumvorräte bei seinem Tod nicht aufgebraucht waren, schreibt der Studienautor Rasmussen, deute auf einen von Kälte und Hunger mitgenommenen Sterbenden hin, dessen zitternde Hände den Brenner nicht mehr in Gang setzen können, um Licht und Wärme zu erzeugen."

Harter Winter für Wohnungslose

Ein winterlicher FAZ-Artikel, nach dessen Lektüre man sich bei der Heizung im Raum bedanken möchte. Und umso mehr, wenn man in der TAGESZEITUNG von der Situation der Wohnungslosen in der Pandemie liest:
"Schon in normalen Wintern ohne Corona gibt es, besonders in großen Städten, wenige Orte, an denen sich wohnungslose Menschen tagsüber aufwärmen können, nachts sind die Notübernachtungen oft überfüllt.
Doch im Coronawinter ist Zusammenrücken keine Option. Im Gegenteil: Um die Ansteckungsgefahr zu verringern, öffnen die meisten Tagesaufenthalte gar nicht erst und die Notübernachtungen belegen nicht alle Betten, die sie haben. Und wenn sich trotz der Maßnahmen eine größere Zahl der Menschen ansteckt? Dann dürften die meisten Städte ein Problem haben."
Xenia Balzereit in der TAZ.

Skepsis gegenüber dem Staat gewachsen

"Ein Fazit des ersten Corona-Jahres" zieht Hans Ulrich Gumbrecht in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG. Es lautet in Kürze: "Mehr Staat denn je und so wenig Vertrauen wie nie." Näher betont Gumbrecht:
"Da das Covid-19-Jahr nichts deutlicher verändert hat als unsere Einstellungen zum Staat, müsste den Politikern an einer gewissen Vorsicht im Gebrauch der Machtstrukturen liegen. Nicht aufgrund einer oberflächlichen Vorentscheidung zugunsten des schwachen Staats und des angeblich mit ihm verbundenen Zugewinns an individueller Freiheit. Vielmehr geht es um eine Situation, in der alle Selbstverständlichkeiten für das Handeln des Staates geschwunden und alle Arten der Skepsis ihm gegenüber gewachsen sind, sodass man von seinem fraglosen Fortbestehen gar nicht mehr ausgehen kann."

Verschwörungstheorie als Korrektiv

Passend dazu steht in der Tageszeitung DIE WELT "eine Verteidigung der Verschwörungstheorie". Nein, Jörg Phil Friedrich glaubt nicht, dass Bill Gates für Corona verantwortlich ist oder sonstigen Unfug. Der WELT-Autor meint jedoch, Verschwörungstheorien würden "eine notwendige Rolle als Korrektiv gegen zu große unhinterfragte Akzeptanz von staatlichen Maßnahmen spielen":
"Gerade wenn Menschen für solche Theorien empfänglich werden, die man bisher als vernünftig, friedlich und gesellschaftlich aktiv erlebt hat, sollte man sich fragen, wie sicher man sich eigentlich seiner eigenen Überzeugungen ist. Zwischen Angela Merkels Weltbild der Aufklärung und verschwörungstheoretischen Überzeugungen klafft kein Abgrund, dazwischen ist vielmehr ein Kontinuum von gutgläubigen Annahmen, kritischen Überzeugungen, hartnäckigen Zweifeln, vereinfachenden Behauptungen und abwegigen Konstruktionen."
In unseren Augen zu relativistisch: der WELT-Autor Friedrich.
Ach ja, die TAZ empfiehlt diverse Weihnachtsgeschenke. Am besten gefällt uns ein Massageball, der so aussieht wie das Virus in groß.
Lockdown hin oder her: Wir wünschen Ihnen eine entspannte Weihnachtswoche!
Mehr zum Thema