Öffentliche Hinrichtung eines Journalisten
Der "Spiegel"-Redakteurin leistet Abbitte für die Untat seines Redakteurs Johannes Saltzwedel, der das Buch "Finis Germania" - von den Feuilletons als rechtslastig eingeordnet - zur Lektüre empfahl. Noch nie wurde ein "Spiegel"-Journalist von den eigenen Leuten öffentlich so hingerichtet.
Nur anderthalb Tage vor Altbundeskanzler Kohl ist auch sein bedeutendster Biograf gestorben: der Politikwissenschaftler Hans-Peter Schwarz, dem Stefan Kornelius in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG bescheinigt,
"ein prinzipientreuer Scharfdenker, ein klarsichtiger Analytiker"
gewesen zu sein. Schwarz hatte den später durch Richard von Weizsäcker noch bekannter gewordenen Begriff der "Machtvergessenheit" der Deutschen geprägt und die bundesrepublikanische Gemütlichkeit der Bonner Zeit immer wieder mit historischen Tatsachen und langfristigen Perspektiven gestört, etwa dem Hinweis, dass
"die Kraft des Nationalstaates und das ewige Ringen der Völker um Macht und Vorherrschaft"
ein wesentlicher Antrieb der Geschichte sei.
"Aber Schwarz war nie ein Anti-Modernist, ein Reaktionär gar, wie ihm einige Kritiker nachsagten",
schreibt der außenpolitische Ressortchef der SZ geradezu überraschenderweise, denn seine Zeitung hat es mit dem Nationalstaatsgedanken sonst nicht so.
Auf dem Hof die Epauletten abreißen
Hoffentlich entschuldigt sie sich nicht noch für diesen Nachruf, so wie der SPIEGEL auf drei Seiten Abbitte leistet für die Untat seines Redakteurs Johannes Saltzwedel, 54 (die Altersangabe steht allen Ernstes im Text!). Dieser Saltzwedel, 54, hat den Feuilletonskandal der Woche verursacht, nein verschuldet, und die SPIEGEL-Redakteurin Susanne Beyer (überraschenderweise ohne Altersangabe) muss das nun ausputzen, bzw. dem Kollektiv der SPIEGEL-Leser irgendwie erklären, und zwar wie folgt:
"Der SPIEGEL nimmt die Rolle ernst, die die Presse in der Demokratie hat: zu kontrollieren, zu korrigieren, zu stören. Zum Wesen der Demokratie gehört die Meinungsfreiheit. Die Grenzen, die ihr durch den Gesetzgeber gesteckt werden, sind weit. Zur Aufgabe des SPIEGEL gehört es, die Meinungsfreiheit zu verteidigen. Der SPIEGEL muss aber eine erkennbare Haltung haben, darf sich selbst einen publizistischen Auftrag geben und die Grenzen dessen, was im SPIEGEL gesagt werden sollte, definieren."
Dieses Georgel geht, wie gesagt, über drei Seiten, und nun muss erwähnt werden, worum es sich bei der ganzen Sache handelt: SPIEGEL-Redakteur Saltzwedel, 54, hat das Buch "Finis Germania" von Rolf Peter Sieferle zur Lektüre empfohlen – nicht im SPIEGEL, sondern auf einer aushäusigen Bestenliste. Das Buch sei rechtsradikal, zetern sämtliche Feuilletons, und die stellvertretende SPIEGEL-Chefredakteurin Beyer, 48, schreibt:
"Jurytätigkeiten, Talkshowauftritte, private Buchprojekte müssen zwar von der Chefredaktion genehmigt werden; was dort aber geäußert und geschrieben, wofür da votiert wird, ist ins Ermessen der Kollegen gestellt. Die Kollegen agieren, darauf jedenfalls vertrauen wir, in dem Wissen, daß eine Verbindung zum SPIEGEL und den von ihm vertretenen Werten jederzeit hergestellt werden kann."
Noch nie wurde ein SPIEGEL-Journalist von den eigenen Leuten öffentlich so hingerichtet wie Saltzwedel, 54, der scheinbar voll in die braune Materie gegriffen hat. Wenn man ihm noch nicht diskret eine geladene Pistole gereicht hat, dann wird man ihm sicher vor dem versammelten ZK auf dem Hof die Epauletten abreißen. Und Buchempfehlungen auf eigene Kappe wird es, Meinungsfreiheit hin oder Wesen der Demokratie her, künftig nicht mehr geben: Es wird
"ein anderes Verfahren entwickelt, das die Korrektur von Empfehlungen möglich macht."
Zu wenig Öffentlichkeit bei Wahl des Schauspielchefs in Zürich?
Verfahren sind immer gut, wenn man nicht mehr weiter weiß. Zum Beispiel bei der Wahl eines neuen Schauspielchefs, wie jetzt in Zürich, wo die Nachfolge von Andrea Breth zu besetzen ist.
"Mindestens fünf Kandidaten wurden eingeflogen und haben vor der Findungskommission ihr Konzept präsentiert. Kein Wort darf an die Öffentlichkeit: Konklave nach Zürcher Art",
schreibt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG und echauffiert sich über das Verfahren. In der Tat ist es für Schweizer Bürger, die in allen öffentlichen Angelegenheiten gefragt werden und das Sagen haben, befremdlich,
"daß in einem zu 75 Prozent mit öffentlichen Geldern finanzierten Haus die Öffentlichkeit bei einer wegweisenden Entscheidung keine Teilhabe hat."
Man sollte mit den Kandidaten wenigstens eine öffentliche Debatte führen können, fordert die NZZ. Fragt sich natürlich, welche Kandidaten sich auf so etwas einlassen würden.