Peymann kritisiert fast alle
Ein Intendant teilt aus. Das Interview mit Claus Peymann in der "Zeit" war der Aufreger der Woche. Darin erklärte der Chef des Berliner Ensembles derart viele Kollegen und Kulturpolitiker für unfähig, dass allein das schon eine Leistung war.
"Warum regen Sie sich so auf?"
Die Frage, die Peter Kümmel in der ZEIT dem Intendanten des Berliner Ensembles, Claus Peymann, stellte, schwebte über dieser Feuilleton-Woche. Denn es wurde um sich geschlagen. In alle Richtungen. Interviewpartner redeten sich in Rage, Gastautoren rechneten mit Kapitalismuskritikern und Amazon ab, und auch Feuilletonisten platzte der Kragen.
Als Letztere in den Zeitungen vom Donnerstag einhellig jubelnd kommentierten, dass der Direktor des British Museum Neil MacGregor der Leiter der sogenannten Gründungsintendanz des Berliner Humboldtforums wird, da wirkte das wie eine kleine Friedensinsel im Feuilleton der Wutausbrüche und verbalen Kleinkriege.
Sammelklage gegen Facebook
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG berichtete über die von einem Wiener Jura-Doktoranden eingereichte Sammelklage gegen Facebook. Auch Facebook müsse sich an Regeln halten. Und in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG forderte der Schriftsteller Ulf Erdmann Ziegler die deutsche Buchbranche auf, einen Gegenkonzern als Antwort auf Amazon zu gründen. Das klang aber fast noch lieb im Vergleich zu dem, was Hedwig Richter schrieb:
"Liebe Postdemokraten, Kämpferinnen und Kämpfer von Occupy und Blockupy: Könntet ihr euch mal mit den Informationen von Amnesty International auseinandersetzen, bevor ihr eure Klagelieder anstimmt? Oder ist das zu spießig?"
Fragte die in Greifswald lehrende Historikerin in der FAZ mit Blick auf westliche Intellektuelle, die den Westen kritisieren und das Ende des Kapitalismus oder der Demokratie herbeiraunen. Man meinte, Hedwig Richters vor Wut bebende Stimme aus ihren Zeilen herauszuhören:
"Schaut doch mal auf die Zahlen in Armutsstatistiken, auf Angaben zur Schulbildung, auf Todesziffern, Konfliktherde, Vergewaltigungsraten, und nehmt zur Kenntnis, dass Flüchtlinge gute Gründe haben, ausgerechnet in westliche Länder zu fliehen."
Hedwig Richter nannte einige der von ihr kritisierten Intellektuellen, darunter den italienischen Philosophen Giorgio Agamben, beim Namen.
Peymanns Unfähigkeitserklärung
Wenn man es infamer mag, so wie Claus Peymann, dann gesteht man seinem Gegner allerdings nicht einmal die Namensnennung zu: "Selbst eine berühmte Nobelpreisträgerin" beteilige sich an der Zerstörung des Theaters, sagte der Intendant des Berliner Ensembles im Gespräch mit Peter Kümmel von der ZEIT. Und meinte Elfriede Jelinek. Eines musste man Peymann lassen: In einem nicht sehr langen Interview derart viele Kollegen und Kulturpolitiker für unfähig zu erklären, war schon eine gewisse Leistung.
Am meisten Peymann-Prügel bezog Berlins Kulturstaatssekretär Tim Renner. Gerüchten zufolge wünscht der sich Chris Dercon, den Leiter der Londoner Tate Modern, als Nachfolger von Frank Castorf an der Berliner Volksbühne. Das wäre, sagte Claus Peymann, eine Fehlbesetzung. Und zu Tim Renner:
"Der Renner ist jung, frisch, ein bisserl dumm, immer nett lächelnd und auf Rhythmus aus."
Er sei "einer dieser Lebenszwerge" und verstehe vom Theater genauso viel wie ein Pförtner, nämlich "nix". Peymanns Forderung: "Der Renner muss weg."
Poschardt lobt Renner
In der WELT schlug Ulf Poschardt mit seinem Artikel "Der Peymann muss weg" zurück:
"Tim Renner tut das Richtige, wenn er den feisten Revolutionsopa rausschmeißt."
Denn, und darauf verweist auch Wolfgang Höbel im neuen SPIEGEL, Peymann wird selbst als Intendant abgelöst, nämlich von Oliver Reese, den er natürlich auch noch diffamiert.
"Angeblich richtet sich Peymanns Wutrede gegen den Plan, seinen 63-jährigen Intendantenkollegen Frank Castorf, den er gar nicht leiden mag, an der Spitze der Volksbühne 2017 durch einen Nicht-Theater-Mann zu ersetzen",
schreibt Höbel.
"In Wahrheit aber zieht Peymann gegen die eigene Ablösung in die Schlacht, die der lustigste aller Theaterwüteriche genauso ungerecht findet wie Castorf die seine."
Auch Peter Stein beschwert sich
Im SPIEGEL beschwert sich ein anderer Theatermann darüber, dass man ihn in Deutschland nicht mehr wolle. Er selbst wolle allerdings auch nicht jeden:
"Am Berliner Ensemble, wo ein Kollege gleichen Alters von mir arbeitet, will ich nicht arbeiten",
sagt Peter Stein. Genau, schon wieder: Den Feind nicht beim Namen nennen, weil man ihm damit gar noch eine Ehre erweisen könnte. Der SPIEGEL lässt das nicht durchgehen und löst auf: "Claus Peymann".
Darauf Peter Stein:
"Ich habe da ungünstige Erfahrungen gemacht. Über die will ich nicht reden."
Stattdessen will er über Russland reden, wo er zuletzt gearbeitet hat. Stein meint, beobachtet zu haben, dass zumindest Moskau zur Zeit nicht antiwestlich eingestellt sei. Allerdings fürchtet er in Russland eine brutale Gegenbewegung zur noch jungen Demokratie:
"Es ist schon so weit, dass man die Falschmeldung für glaubwürdig hielt, dass man demnächst Transsexuellen in Russland per Gesetz das Autofahren verbieten wollte. Weil sie angeblich eine Gefahr für den Verkehr sind! Nicht für den Geschlechtsverkehr, sondern für den Autoverkehr!"
Insgesamt scheint sich der Theaterregisseur aber Russland viel näher zu fühlen als den USA.
"Die USA sind ein autoritärer Staat",
sagt er im SPIEGEL.
Kurze Ehre für Snowden
Ob er damit auch meint, was in der Nacht zum Ostermontag in New York passiert ist? Wie Johannes Boie in der SZ berichtete, hatten Unbekannte eine Bronzebüste von Edward Snowden auf eine dorische Säule im Fort Greene Park in Brooklyn gestellt. Da Snowden bekanntlich nicht von allen Amerikanern verehrt wird, überlebte das Denkmal auch nur wenige Stunden. In den Worten von Johannes Boie:
"Lange bevor Grünspan der Installation die historische Würde verleihen konnte, die sich die Künstler zweifellos erhofft hatten, kamen allerdings ein paar Grünflächenbeauftragte der Stadt New York, verhüllten den Kopf des Antihelden mit einem Tuch, als könnte alleine sein Anblick Spaziergänger gefährden, und transportierten ihn schließlich ab."