Aus den Feuilletons

Pipilotti zum Ausschneiden

Die Schweizer Künstlerin Pipilotti Rist vor ihrer Installation "Administrating Eternity 2011" in ihrer Ausstellung "Blood operated cameras and welling spaces" im Kunsthaus in St. Gallen, Schweiz, am 1. Juni 2012.
Die Schweizer Künstlerin Pipilotti Rist vor ihrer Installation "Administrating Eternity 2011". © picture alliance / dpa / Ennio Leanza
Von Gregor Sander |
Die "Zeit" erfreut ihre Leser zu Fronleichnam mit einem Starschnitt der Schweizer Künstlerin Pipilotti Rist. "Nehmen Sie eine Schere", lautet die Aufforderung, "und kleben Sie sie zur Fix-it-Frau zusammen!"
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG und die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG erscheinen an diesem Donnerstag nicht. Fronleichnam ist eben Feiertag in Bayern und Hessen, aber nicht in Hamburg. Also schlagen wir begeistert die aktuelle Ausgabe der Wochenzeitung DIE ZEIT auf, um dort folgendes zu lesen:
"Diese Ausgabe des ZEIT-Feuilletons wurde gestaltet von der Schweizer Künstlerin Pipilotti Rist. Die Seiten ergeben ein lebensgroßes Porträt der Künstlerin als Starschnitt. Nehmen Sie eine Schere, schneiden Sie die Bilder der Körperteile entlang der gestrichelten Linien auseinander, dann setzen und kleben Sie sie zur Fix-it-Frau zusammen."
Das können wir hier im Radio natürlich nicht leisten und bitten die ZEIT-Leser, selbst damit fertig zu werden.
Bleistifte von Lutz Seiler im Literaturmuseum Marbach
Für die Tageszeitung DIE WELT hat Tilmann Krause die neue Dauerausstellung des Literaturmuseums in Marbach besucht. Die alte war immerhin schon neun Jahre alt. Der Titel lautet "Die Seele" und Krause erklärt, wo die zu finden sein soll:
"In den Manuskripten, Zetteln, Briefen und anderen Entstehungsdokumenten von Literatur. Aber eben auch in dem, was das Schreiben materiell gesehen überhaupt erst ermöglicht: Füller, Federkiele sowie natürlich jede Menge Maschinen – bis hin zur elektronischen Herstellungstechnik unserer Tage."
Hm, möchte man an dieser Stelle laut brummen und auch der WELT-Autor Krause meldet leise Zweifel an:
"Geschriebenes lebt vom Akt des Lesens. Wird es, zu Darbietungszwecken, auf seine Materialität hin fixiert, um nicht zu sagen reduziert, gehen Genuss, Erkenntnis, Horizonterweiterung, also all das, was sich mit dem Erlebnis der Lektüre verbinden kann, den Bach runter."
Rinderbandwurm als Kunst im Tieranatomischen Theater
Wer sich für die Bleistifte von Lutz Seiler oder die Strumpfhose von Katrin Schmidt interessiert ist also in Marbach gut aufgehoben. Ausstellungsbesucher mit einem etwas morbideren Geschmack empfiehlt Fabian Federl im Berliner TAGESSPIEGEL einen
"Siebdruck mit Rinderbandwurm."
Sieben Künstler aus Deutschland und Großbritannien führt die Ausstellung "On the edge" im Tieranatomischen Theater der Berliner Humboldt Universität zusammen. Sie sollen sich in diesem ehemaligen Seziersaal der Tiermediziner Kunst und Wissenschaft miteinander verbinden. Und das geht zum Beispiel so:
"Künstlerin Andrea Roe etwa hat einen Protagonisten aus der Zoologie ausgewählt: einen sechs Meter langen Rinderbandwurm, der im 19. Jahrhundert aus einem menschlichen Darm entfernt wurde. Das Originalstück ist in einem flaschengroßen Behältnis in Salzlake aufbewahrt. Die eigentliche Größe des Wurms wird sichtbar auf zwei großen Samt-Siebdrucken, auf die Roe den Bandwurm in Originalgröße gedruckt hat. Seine Textur ist in Edelstahl gegossen daneben als Armreif zu sehen."
Ganz fasziniert ist die Künstlerin inzwischen von dem Rinderbandwurm und drückt das mit fast schon lyrischen Worten aus:
"Bis zu 25 Jahre können die Würmer in einem menschlichen Organismus überleben. Das ist länger als die meisten menschlichen Beziehungen."
So genau möchte man das eigentlich gar nicht wissen. Ein altmodisches Gedicht wäre schön zum Schluss. Die TAZ hilft uns hier weiter. Sie feiert den 20. Geburtstag der Berliner Lesebühne "Heim und Welt". Damit dürfte sie eine der ältesten der Hauptstadt und des Landes sein. Lesebühnenveteranen wie Falko Hennig oder Jakob Hein lesen Sonntag für Sonntag auf offener Bühne gegen den Tatort an.
Zitiert wird in der TAZ allerdings der 2007 verstorbene Mitbegründer Michael Stein. Mit einem Gedicht für all die, die eben nicht frei haben an diesem Donnerstag, dem Fronleichnam. Es trägt den Titel "Fluch":
"Arbeit! Geißel der Menschheit!
Verflucht seist du bis ans Ende aller Tage!
Du, die du uns Elend bringst und Not uns zu Krüppeln machst und zu Idioten
uns schlechte Laune schaffst und unnütz Zwietracht säst
uns den Tag raubst und die Nacht
verflucht seist du
verflucht
in Ewigkeit
Amen."
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