Pro und Contra zur Stokowski-Absage
Wenn sich eine Zeitung nicht für eine Haltung entscheiden kann, dann druckt sie eine Ja- und eine Nein-Stimme. So macht es die "Zeit" bei der Frage, ob eine Buchhandlung Bücher von Rechten führen sollte. Wie mündig sind wir Leser?
Blicken wir zunächst "In Herberts Blase". Aber keine Bange! Die Überschrift in der Tageszeitung DIE WELT kündigt nicht etwa ein endoskopisches Abenteuer an…Nein! Manuel Brug bespricht Herbert Grönemeyers "Tumult", das mittlerweile 15. Album des ex-Bochumer Barden aus Berlin. Laut Unterzeile ist das Werk "von einlullender Perfektion" – was maliziöser klingt, als es der WELT-Autor Brug letztlich meint.
"'Tumult' ist Grönemeyer selbst ganz pur, ohne viel Gedöns. Sehr entspannt, aber aufmerksam auf der Lauer. Und das funktioniert fein. Macht ab dem zweiten Hören immer mehr Spaß. Weil Herbert Grönemeyer die Gabe hat, aus Simpel-Titeln, die auch von Helene Fischer sein könnten ('Mein Lebensstrahlen', 'Leichtsinn und Liebe', 'Lebe mit mir los') kleine poetische Schmuckstücke zu machen. Das ist kein Agitprop, eher linker Feinsinn. Grönemeyer hofft, dass er auch in Watte verpackt aufrütteln, zumindest sensibilisieren kann. Und ist somit ein Abbild unserer seltsam gelähmten Republik." Behauptet der WELT-Autor Manuel Brug, der uns damit ein Steilvorlage zum Wechsel ins politische Feuilleton liefert.
Die Offenbarung der Beatles
Den wir aber noch aufschieben, um von Grönemeyers "Tumult" zum "Weißen Album" der Beatles zu kommen. Das nämlich liegt 50 Jahre nach seinem Erscheinen nun in "historisch-kritischer Fassung" vor, berichtet die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG. Deren Urteil sich in zwei Worten verdichtet: Die Sammlung von 6 CDs sei "eine Offenbarung". "Im Vergleich mit der Perfektion und Brillanz von "Sgt. Pepper" kommt das 'Weiße Album' letztlich unprätentiöser, rauher und direkter daher. Gerade seine lässige Unvollkommenheit macht es so sympathisch und irgendwie cool. Es scheint von allen Beatles-Alben am wenigsten Patina angesetzt zu haben, eine fast unerschöpfliche Wundertüte", freut sich der FAZ-Autor Peter Kemper und endet mit dem Jubelruf: "Weißer geht’s nicht."
Unentschieden heißt: Ja und Nein
Entschiedener aber auch nicht, sagen wir, und blättern die Wochenzeitung DIE ZEIT auf, die sich nicht entscheiden kann. Und zwar in der Frage, ob die Autorin Margarete Stokowski gut daran tat, eine zugesagte Lesung in München wieder abzusagen, als sie erfuhr, dass die veranstaltende Buchhandlung Lehmkuhl auch Bücher von Rechten in ihren Regalen führt. Und was macht eine Redaktion, die sich nicht für Ja oder Nein entscheiden will? Richtig! Sie druckt eine Ja- und eine Nein-Stimme.
"Ja!" sagt die ZEIT-Autorin Iris Radisch. "Ob man mit Rechtsextremen streitet oder ob man ihre Produkte vertreibt, ist ein Unterschied. Die Absage ist plausibel." "Nein!" sagt Radischs Kollege Ijoma Mangold. "Buchhandlungen müssen nicht wie gute Hirten sein, die ihre Schäfchen vor Teufelszeug schützen. Der Leser ist mündig."
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG veröffentlicht ein Foto der erwähnten Buchhandlung Lehmkuhl, genauer: des Regals, das mit "Neue Rechte, altes Denken" beschriftet ist. Von Thilo Sarrazins "Feindliche Übernahme" abgesehen, scheinen dort jedoch viele Bücher zu stehen, die sich mit rechtem Denken kritisch auseinandersetzen.
Über Habermas hinwegsetzen?
Aber ob so oder so: Das SZ-Foto bebildert einen Artikel der Philosophin Svenja Flaßpöhler, die im Blick auf die erfolgreichen rechten Parteien fragt: "Wie kann man sich ihnen stellen, ohne ihnen noch mehr Einfluss zu verschaffen?" In ihrer Antwort knöpft sich Flaßpöhler ausdrücklich Jürgen Habermas vor, der leider nur eine Strategie kenne: "Ignorieren und Ausgrenzen." Flaßpöhler grübelt, "ob die Habermas’sche Diskurstheorie wirklich der Weisheit letzter Schluss ist. Oder ob eine Demokratie, wenn sie funktionieren soll, nicht diskursiv offener gedacht werden muss. Was als vernünftig gilt und was nicht, wäre dann nicht von Linken immer schon vorentschieden, sondern selbst Gegenstand des Streits."
Nun denn. Wir empfehlen Ihnen die Lektüre des SZ-Artikels von Svenja Flaßpöhler, ziehen uns selbst zurück und sind guten Mutes, dass eine Überschrift in der TAGESZEITUNG Ihr Urteil über unsere Presseschau nicht bereits vorweg nimmt. Die TAZ titelt nämlich: "Alles Banane"