Aus den Feuilletons

Proletarische Hymnen

Revolutionäre 1. Mai Demo 2014 in Berlin Kreuzberg
Singen die Revolutionäre von heute auch revolutionäre Lieder? © picture alliance / dpa / Ole Spata
Von Gregor Sander |
Kann man am 1. Mai noch Arbeiterlieder singen, fragt sich die "Süddeutsche" und weiß auch keine Antwort. Warum die Jugendlichen heute keine Barrikadenkämpfer mehr sein wollen, klärt dagegen die "Taz".
Da am Freitag, dem 1. Mai keine Zeitungen erscheinen, besingen die Feuilletons den Kampf- und Feiertag der Arbeit schon am Donnerstag. Die Tageszeitung DIE WELT schenkt ihren Lesern:
"Zum Maifeiertag eine Sammlung der schönsten proletarischen Hymnen."
Da findet sich natürlich Ernst Busch, Hannes Wader und Ton Steine Scherben, aber Oasis hätte man vielleicht nicht unbedingt erwartet. Michael Pilz schlägt "The Importance of Beeing Idle" der Britpopper vor und erklärt:
"Viel zu lange war das 'Einheitsfrontlied' eine bourgeoise Hymne gewesen – gedichtet vom Kaufmannssohn Bertolt Brecht, vertont vom Gelehrtensohn Hanns Eisler und am engagiertesten gesungen vom Ingenieurssohn Rio Reiser. Dann kamen Oasis, die Söhne eines Tagelöhners und Trinkers aus Manchester. Sie nahmen sich einfach den Marschtakt. Sie manipulierten an der Melodie herum. Sie machten daraus vor zehn Jahren endlich eine proletarische Version, 'The Importance of Beeing Idle', ein Lob der Faulheit, weil der Arbeiter am 1. Mai traditionell lieber zu Hause bleibt."
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG ist man unsicher und fragt Eva Jantschitsch:
"Kann man heute noch Arbeiterlieder singen?"
Eva Jantschitsch nennt sich als Sängerin Gustav und wurde mit dem Lied "Rettet die Wale" berühmt. Gerade hat sie eine 40 Jahre alte Revolutions-Revue neu vertont: Die "Proletenpassion" des Wiener Musikerkollektivs "Die Schmetterlinge". Seit Januar waren alle Vorstellungen in Wien ausverkauft, aber ob man denn nun heute Arbeiterlieder noch singen kann, weiß auch Eva Jantschitsch nicht denn:
"Die Fabriken, in denen das ganz harte Knechtschaftsleben stattfindet, die gibt es bei uns inzwischen nicht mehr. Wir haben höchstens noch einen Zettel hinten im T-Shirt, auf dem 'Made in Bangladesh' steht."
Trotzdem meint die Sängerin:
"In Europa arbeiten wir als Individuen so vor uns hin. Wir müssen aus der Vereinzelung herausfinden."
Früher war mehr Streik
Uns also zusammenschließen, wie früher. Ja früher war nicht nur mehr Lametta, früher war auch mehr Streik, wie Joachim Günter in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG erklärt.
Und dieses "Früher" begann schon sehr früh:
"Schon 1155 v. Chr. legten in Theben die Nekropolenarbeiter die Arbeit nieder, um die ihnen zustehende Ration an Getreide ungeschmälert zu erhalten. Ihnen half, dass sie Spezialisten waren, die sich einfach nicht durch Streikbrecher ersetzen ließen. Heute hilft der gleiche Umstand den Piloten und Lokführern."
Die in der Bevölkerung durch ihre privilegierte Stellung allerdings kaum Unterstützung finden. In der nahen Zukunft erwartet Günter allerdings ein Comeback des Streiks:
"Da die Blüte des Sozialstaats hinter uns liegt und die Zeiten wieder härter werden. 'Ohne Streiks sind Tarifverhandlungen kollektives Betteln.' Dieser alte, rhetorisch überdrehte Satz könnte auch künftig seine Wahrheit behaupten."
Die Jugend verweigert sich der Barrikade
Und was ist mit der Jugend? Die verweigert sich der Barrikade und das ausgerechnet in der TAZ. Aidin Halimi Asl, Jahrgang 1981, fragt hier:
"Was genau wird von uns erwartet, wenn man in den Feuilletons aufschreit: 'Empört euch richtig!'? Zwischen den Zeilen beschwört man eine Revolutionsromantik, für die unsere Generation nicht mehr empfänglich ist. 1968, 1918, 1848, alles Jahrgänge, in denen die Jugend mit Eisen und Blut Widerstand leistete, sich richtig empörte. Und wir nehmen unsere Kuscheltiere mit auf die Demo anstelle einer Steinschleuder, schlürfen unsere Cocktails, anstatt Molotowcocktails zu bauen."
Was soll das denn, fragt sich der betagte revolutionäre Leser entsetzt? Aidin Halimi Asl antwortet:
"'Leben, leben lassen und zusammenleben', heißt unsere Maxime. Wir wollen die soziale Gerechtigkeit, ohne uns auf Marx berufen zu müssen. Wir sind echte Demokraten, ohne aus Überzeugung wählen zu gehen. Wir sind das politische Spektrum jenseits von links und rechts. Wir werden unsere Ideale zugunsten einer Ideologie nicht verraten."
Klingt ganz gut, nur wie das funktionieren soll, wird in der TAZ leider nicht erklärt. Aber wer hat damals schon erklärt wie "Keine Macht für niemand" eigentlich funktionieren soll.
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