Aus den Feuilletons

Rausch und Party sind stillgelegt

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Verwaister Eingang zum Club "Wilde Renate" in Berlin.
Verwaister Eingang zum Club "Wilde Renate" in Berlin © Emmanuele Contini / imago-images
Von Paul Stänner |
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Der "Tagesspiegel" beklagt die seuchenbedingte Schließung der Clubs. Dort gebe es keineswegs nur Rausch, Eskapismus und Exzess. Sie seien Orte für Menschen aller Geschlechtsidentitäten, sexueller Orientierungen, Nationalitäten und Hautfarben.
"Beyoncés neuer Musikfilm 'Black is King'", schreibt die SÜDDEUTSCHE, "ist eine Mischung aus Bibelfilm, 'König der Löwen', und Black-Lives-Matter-Musikvideo." Da ist man doch gleich recht umfassend informiert. Musik und Politik sind die roten Fäden, die sich durch die Feuilletons vom Sonnabend ziehen.

Ein Musikfilm, der wenig zur Debatte beiträgt

In "Black is King" treten fast ausschließlich Schwarze auf. Es gibt lediglich einige weiße Butler, die Beyoncé und einer Figur, die für die SZ wie eine Melange aus Simba und Jesus wirkt, die Zähne putzen. "Egal, wie schwer es wird, du hast mein Blut in dir", sagt im Film Beyoncé, eine Chimäre aus Jungfrau Maria und Film-Königin, zu Sohn Simba-Jesus.
Die SZ fügt spitz hinzu: "Nun ist man als Deutsche ja, sagen wir mal, empfindlich, wenn Leute sagen, alles gut, du hast mein Blut in dir." Vor dem Hintergrund der aktuellen Protestwelle kommt die SZ zu dem Ergebnis, dass der Film schwarze Schönheit feiere, aber kaum etwas zur aktuellen Diskussion beitragen könne. "Beyoncé", fasst die SZ zusammen, "ist als Königin, wie Elisabeth II., für was Anderes zuständig: Für den Glanz als einendes Prinzip."

Junge Menschen für klassische Musik begeistern

Glanz und Posaune sind Thema der FAZ. Der Autor schildert, wie er als 17-jähriger zum ersten Mal Wagner gehört hat und sich ihm die Haare sträubten und die Gänsehaut gefror - so überwältigt war er vom Orchester-Sound. Er ist der Meinung: "Klassische Musik fesselt Kinder und Jugendliche - genau wie mich damals - prinzipiell einfach so."
Fachwissen und Musiktheorie machten aus Wagner nur Hochkultur und die wirke abschreckend. Wie aber bekommt man die zögernden Jugendlichen über die Konzertsaal-Schwelle? "Hinführen", lautet der Vorschlag, "kontextualisieren, einordnen ist wichtiger denn je geworden. Und das in unterschiedlichen medialen Formaten, digital und niedrigschwelliger."
Das klingt definitiv nach Fachwissen und Musiktheorie. Dabei hat es beim Autor auch ohne niedrigschwelliges Kontextualisieren funktioniert - also: Vielleicht spielt man Jugendlichen Wagner einfach mal so vor. Ohne Worte?
Zum Beispiel im Berghain, dem Berliner Superclub. Die taz berichtet von einer Klanginstallation, die im jetzt tanzfreien Berghain aufgeführt wird. Immer nur 40 Personen dürfen hinein, sitzen weit auseinander auf dem Betonboden und lauschen. Anderes Publikum als üblich sei jetzt dort zu finden, nämlich "in weite, bunte Leinenhosen gewandete Kunstbuchhändlerinnen und Herren mit Hut, als ginge es zur Ausstellungseröffnung in der Nationalgalerie".

Clubs leben Diversität mehr als andere Orte

Wie schön - da kann man erleben, wie unerfahrenes Publikum, das sonst eher Wagner genießt, niedrigschwellig an den legendären Techno-Club herangeführt wird. Aber die taz wird nicht warm mit der Klanginstallation, stellt am Ende die bange Techno-Frage: "Kommt das richtige Leben irgendwann zurück?"
Auch der TAGESSPIEGEL erzählt von dem Sounderlebnis im Berghain. Nicht nur das Berghain, auch andere Clubs versuchten kreative Ausweichmanöver, aber die eigentliche Welt existiere nicht mehr - Rausch und Party seien stillgelegt. "Dabei sind Clubs", schreibt der TAGESSPIEGEL, "natürlich mehr als nur Orte, an denen Exzess und Eskapismus herrschen. In ihnen entstehen und gedeihen Subkulturen, unter denen mehr Diversität herrscht, als man sie an den meisten anderen Orten so sieht: Menschen aller Geschlechtsidentitäten, sexueller Orientierungen, Nationalitäten und Hautfarben."
Womit die Unterhaltungsindustrie aufgewertet wird zur Vision einer gesellschaftlichen Zukunft, in der Minderheiten sich nicht mehr um ihren Status sorgen müssen. Der TAGESSPIEGEL hegt sogar noch größere Hoffnungen für die Zeit nach Corona, wenn die Clubs wieder Clubs sein dürfen und schreibt:
"Möglicherweise führt die Krise auch zu einer Demokratisierung der sonst oft verschlossenen Clublandschaft. Ins Berghain kommt zumindest noch bis Sonntag jeder rein."
Aber dann ist Schluss für die wagnerhörenden Kunstbuchhändlerinnen.
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