Reden studierte Frauen gern mit sich selbst?
Diese Woche haben wir dank "Welt" und "Frankfurter Allgemeine Zeitung" gelernt, dass das gute alte "Äh" in Gesprächen durch ein "Genau!" ersetzt wird. Vor allem in studentischen Kreisen sei es en vogue, werde aber nicht von beiden Geschlechtern gleich häufig genutzt.
Die Weihnachtswoche, auf die wir zurückblicken mit dem festen Vorsatz, fettes Essen, alkoholische Getränke und die meisten Verwandten für mindestens zwei Monate zu meiden, begann aus der Sicht des Feuilletons mit einer Tragödie: Kurt Masur war verstorben. "Selten", so schrieb in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG Wolfgang Schreiber, "selten wird eine Figur der klassischen Musik zur historischen Symbolfigur."
Schreiber bezieht sich auf den Aufruf, den der weltweit geachtete Gewandhaus-Kapellmeister in den dramatischen Tagen von 1989 zusammen mit anderen verfasst hatte. "Keine Gewalt" hieß diese Erklärung, in der man um Besonnenheit bat, damit der friedliche Dialog möglich werde. Dieser Aufruf habe Masur den Titel "Dirigent der deutschen Revolution" eingetragen. Aber Masur war nicht in erster Linie Politiker, sondern Interpret. Schreiber erinnert: "Beständig feilte Masur an den spieltechnischen und klanglichen Möglichkeiten seines Orchesters, seine eigene, von der Erscheinung her massige Gestalt wurde mit ihrer kraftvoll-bärbeißigen Natur notwendig zur Vaterfigur. Masurs Wirken und Wirkung in Leipzig, sie können gar nicht überschätzt werden."
Jan Brachmann würdigt Masur in der FAZ: "Seine Stärke als Dirigent war jener mitteleuropäische Misch-Klang, der alle Details farblich vermittelt und auf die Einheit des Widerstrebenden aus ist. Ein Klang, der inzwischen rar geworden ist, ähnlich wie das Sütterlin, das Masur noch immer schrieb." Deutlicher kann man nicht sagen, dass eine Ära, eine Epoche zu Ende gegangen ist. Wer von unseren Hörern weiß denn noch, was Sütterlin ist? Auch Brachmann verweist auf den politischen Dirigenten: "Masurs Aufnahmen zeugen von einem bewegenden Künstler, der sich mit dem Unheil nicht abfinden wollte."
"Genau!" ist vor allem bei Studenten beliebt
Am Dienstag, am 22., war die Welt fast wieder heil. In besagter WELT machte uns Thomas Schmid mit seiner Beobachtung vertraut, dass das gute alte "Ähh", das man gemeinhin in den Satz einflicht, wenn man Nachdenken vortäuscht, ersetzt wurde durch ein "Genau!". Er schreibt: "Das neue Mode-"Genau" fällt zwar in Gesprächen, hat aber keine dialogische Bedeutung. Es ist monologisch, wer das Wort benutzt, kommentiert sich selbst, spricht sich also vor allem selbst an."
Des weiteren erfahren wir aus Thomas Schmids Artikel, dass mehr Frauen als Männer dieses rückbezügliche "Genau" anwenden, ohne dass er uns detaillierte Daten seiner gewiss sorgfältigen Erhebung mitteilt. Wir wissen jetzt, dass Frauen dazu neigen, sich selbst anzusprechen, und lernen noch dazu von Schmid, dass die FAZ beobachtet haben will, dieses modische "Genau" sei vor allem in studentischen Kreisen en vogue - wir rechnen eins und eins zusammen und wissen nun dank WELT und FAZ, dass Frauen mit Universitätsbildung gern mit sich selbst sprechen.
In der "Tageszeitung" ein Fall von zerstörerischer Wirkung von Glühwein
Dann wird es immer weihnachtlicher. Am 23.12. resümiert die TAZ: "Zugegeben, es war kein gutes Jahr für das Image des Islam." Das ist wohl wahr, doch dann mokiert sich Peter Weissenburger über eine Schlagzeile, die lautete: "Muslime retten Christen das Leben". Es ging um einen Vorfall in Kenia, bei dem Muslime in einem Bus sich geweigert hatten, islamistischen Terroristen die christlichen Mitfahrer zu benennen. "Dass das ist ein beispielhafter Akt von Solidarität und Zivilcourage ist, steht außer Frage", urteilt Weissenburger, nimmt aber seine Bewunderung gleich wieder zurück: "Vielleicht waren die Fahrgäste im Bus einfach klug genug, daran zu denken, dass Verrat auch nach hinten losgehen kann." Das ist unweihnachtlich-schäbig gedacht vom Autor, der fortfährt: "Aber egal, es ist Weihnachten und wir wollen gute Nachrichten. Und wir wollen, dass alle Menschen - sogar die Muslime - jetzt mal gute Menschen sind." Das ist nicht nur schäbig, sondern extrem dumm gedacht. Wir hoffen mal, dass es wieder besser geht, wenn die zerstörerische Wirkung des Glühweins nachlässt.
Überhaupt - Weihnacht und der gute Mensch, ein heikles Thema, das auch die Zeitschrift CHRIST & WELT, die gelegentlich der ZEIT beiliegt, aufgenommen hat. Die Autorin Friederike Gräff fragt: "Weihnachtschristen welcome?", so als würde an den Festtagen eine Gläubigen-Schwemme die Kathedralen überfluten. Frau Gräff beantwortet ihre Frage in vorweihnachtlicher Zerrissenheit in einem Artikel mit "Ja", in einem zweiten mit "Nein", ist also in sakraler Personalunion Helfergruppe und Pegida-Demonstration. In ihrem "Pro"-Artikel beklagt sie sich über die Weihnachtschristen: "Weihnachten, das ist Christentum für Weicheier, ein bisschen niedlicher Säugling, ein bisschen trällernde Engel, es ist das leicht zu habende Pathos des Schwachen, das kurz einmal die Mächtigen staunen lässt."
Egal, wer die staunenden Mächtigen sein mögen - der potentielle Weihnachtschrist fühlt sich so nicht wirklich eingeladen. Es klingt der gesamte "Ja"-Artikel eher wie eine Rechtfertigung für das abweisende Verhalten derer, die die Weihnachtschristen mit Verachtung sehen. Gräff schreibt: "Der Weihnachtschrist arbeitet nicht für seinen Glauben, er ist ihm kein sauer Brot. Und das können ihm die echten Christen nicht verzeihen." Wenn das der "Ja"-Artikel war, kann der potentielle Weihnachtschrist gut auf den "Nein"-Artikel verzichten. Ohnehin ist jetzt 51 Wochen lang Ruhe.
Wenn man es genau betrachtet, verbreiten Forderungen nach Menschlichkeit, ja nur nach Freundlichkeit zum Fest des himmlischen Friedens eher unfreundlichen Stress. So freuen wir uns darauf, dass wieder das normale Jahr beginnt. Am Sonntag lesen Sie im Berliner TAGESSPIEGEL den Artikel "Genial oder hohl? Der Hessen-"Tatort" versucht sich als Film im Film" - die unfriedliche Erde hat uns also zurück. Wir werden Alkohol trinken, fettes Essen zu uns nehmen und Verwandte besuchen. Wie alle Jahre wieder.