Rule Britannia, aber singe es nicht
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Britische Hymnen wie "Rule, Britannia" sind in der Kritik, weil Strophen rassistische Anklänge enthalten. In der BBC sollen diese nur noch instrumental gespielt werden, berichtet die "SZ". Das empört den Prime Minister Boris Johnson.
Die Welt ist bekanntlich immer komplizierter geworden. Eigentlich wäre es wichtig, über sie zu sprechen, aber auch das ist immer komplizierter geworden. In der taz verabschiedet sich eine Autorin, die ein Jahr lang eine Kolumne mit dem Titel Orient Express geschrieben hat, die sich wesentlich mit der Türkei befasste.
Ungeahndete Drohungen
Zum Lebewohl erwähnt sie noch einmal die Mails und Briefe, die man ihr geschickt hat, vorzüglich von denen, die ihre Texte gehasst haben. Die Autorin erwähnt einen deutschen Rechtsanwalt mit offenbar türkischen Wurzeln und dessen Drohung: "Wartet ab. Irgendwann gibt es Auge um Auge für eure Provokationen." Und die taz fügt hinzu: "Seine zuständige Anwaltskammer Karlsruhe scheint das nicht zu stören."
Berlinale ohne Preise für Schauspielerinnen?
Reden wird schwieriger. Egal, was man meint, blitzschnell steckt man im Zentrum eines Shitstorms von Leuten, die ihre eigene Sichtweise absolut setzen. Manch einer geht vorausschauend in Deckung.
Die Berlinale will ihre Schauspielpreise künftig geschlechterneutral vergeben. Damit verschwinden beispielsweise die Preise für Schauspielerinnen im sprachlichen Niemandsland. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG gibt zu bedenken:
"Das ist eine gute Nachricht für alle, die sich weder als Frau noch als Mann definieren. Für Frauen ist sie dagegen irritierend. Soll Gerechtigkeit ausgerechnet dadurch hergestellt werden, dass es Veränderungen in der einen Kategorie gibt, in der sie bislang nicht unterrepräsentiert waren – wenn auch nur, weil sie ihnen alleine gehörte?"
Das Gleichstellungsbündnis Pro Quote Film schlägt im TAGESSPIEGEL vor, stattdessen "einen Preis für gendersensible Darstellung" einzuführen. Aber wie diesen Preis vergeben? An Mann, Frau oder unbekannt?
Britische Hymnen ohne Text
Noch ein Versuch, ein Thema zu löschen, bevor es zum Streit kommen kann: In Großbritannien wurde diskutiert, ob das Lied "Rule Britannia", das alljährlich in der Last night of the Proms erinnerungsselig gegrölt wird, noch zeitgemäß sei. Es berichtet die SZ:
"Rule, Britannia" stammt aus dem Jahr 1740 und ist für viele Briten so etwas wie die heimliche Nationalhymne. Darin heißt es: "Herrsche Britannia. Briten werden niemals Sklaven sein." Das zählt dann wohl als rassistische Konnotation.
Auch das Lied "Land of Hope and Glory" soll nicht mehr gesungen werden, wegen seiner imperialistischen Konnotationen. Die Lösung der BBC: Sie streicht gleich doppelt. Zum ersten werden nur die Instrumentalversionen gespielt, der Text ist gestrichen; zum zweiten werden sie in einem corona-bedingt menschenleeren Saal gespielt, was nicht nur die Ewiggestrigen ausschließt, sondern alle.
Zu dieser doppelt sicheren Streichung zitiert wieder die SZ einen populistisch-verklärenden Boris Johnson: "Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir aufhören, uns für unsere Geschichte, unsere Traditionen und unsere Kultur zu schämen." Fragen wir doch, was Inder zum Beispiel dazu meinen.
Musik als Verbindung
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE schreibt zum selben Thema und fordert, Zeichen ästhetischer Subversion gegen die Nörgler zu setzen. Was damit gemeint ist, erläutert sie in folgendem Szenario:
"Da sich am 2. September der Sieg Preußens über Frankreich zum hundertfünfzigsten Male jährt, sollten Angela Merkel und Emmanuel Macron mutig vorangehen mit einer Freiluftaufführung von Johannes Brahms 'Triumphlied' op. 55 - laut dem Umfeld des Komponisten geschrieben 'auf den Sieg der deutschen Waffen bei Sedan' - alles vor der Siegessäule in Berlin, mit deutschem Chor, französischem Orchester, dirigiert von Christian Thielemann, das Baritonsolo gesungen von Stéphane Degout. Und zum Abschluss ein Geschwader der französischen Luftwaffe, das zum Sedan-Tag den Satz 'Musik verbindet' in den Himmel sprüht."
Das würde die Welt sicherlich ein wenig weniger kompliziert machen. Oder?