"Schafft die Talkshows ab!"
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Die "Welt" fordert ein Ende der TV-Talkshows, da sie die Demokratie gefährdeten und nur noch zu Extremen neigten. Anlass: die Verleihung der "Goldenen Kartoffel" an Frank Plasberg, Sandra Maischberger und Co. in der vergangenen Woche.
"Schluss mit dem Kult der Exklusivität!" – titelte die Wochenzeitung DIE ZEIT. Der Medientheoretiker Stefan Heidenreich und der Kulturmanager Magnus Resch forderten in ihrem "Aufruf zum Neuanfang": "Die Kunst muss endlich demokratisch werden."
Gemeint war die bildende Kunst, die laut Heidenreich und Resch in den Händen des Marktes und der großen Sammler gefangen ist. Und wie kommt die Kunst wieder frei? Eine der Forderungen Heidenreichs und Reschs lautete:
"Künstler, mobilisiert eure Fans! Verlasst die Sackgasse des Marktes. Wartet nicht darauf, ‚entdeckt‘ zu werden. Wendet euch den Betrachtern zu. Löst euch von den Formzwängen der Moderne: Wir brauchen keine Werke, die es nur einmal gibt. Vergesst die Aura, diese jämmerliche Marketing-Lüge des Exklusiven. Macht Kopien, ahmt nach, mischt neu, sampelt. All das, was in der Musik längst geht, steht auch Künstlern frei. Nutzt die Freiheiten der Kunst! Sie sind ein Recht, das es zu verteidigen gilt."
Tja, ob der Aufruf wohl umstürzende Veränderungen nach sich zieht? Womöglich glaubte die DIE ZEIT selbst nicht recht daran: Sie veröffentlichte den kurzen Artikel auf einer Feuilleton-Seite, auf der ansonsten nur noch vier große Todes-Anzeigen standen.
"Politische Talkshows vergiften unser Miteinander"
Da hatte es Cigdem Topraks Pamphlet "Schafft die Talkshows ab!" in der Tageszeitung DIE WELT schon besser: Der Artikel war viel länger und es standen auch keine Todesannoncen drunter, sondern das TV-Programm des Tages.
Der Anlass für Topraks Anti-Talkshow-Agitation: Frank Plasberg, Sandra Maischberger, Anne Will und Maybrit Illner erhalten die "Goldene Kartoffel", den Negativ-Preis der Neuen Deutschen Medienmacher. Für Toprak eine richtige Entscheidung.
"Politische Talkshows vergiften unser Miteinander und gefährden die Demokratie, weil sie nur noch zu Extremen neigen, nach rechts und links, im aberwitzigen Glauben, nur dadurch unsere Demokratie retten zu können. Jeder in diesem Land wird zum Feind des anderen. Die Sendungen tragen mehr als nur dazu bei. Sie wollen unterhalten und nicht informieren. Was unterhält uns besser, als Menschen gegeneinander kämpfen zu sehen? Jeder Zuschauer sucht sich seinen Helden und weiß, wer sein Feind ist. Jeder schaut auf seine eigene Lebenswelt."
So weit die Talkshow-Skepsis der WELT-Autorin Cigdem Toprak.
Lena Odenthal hat viel für Frauenfiguren im TV getan
Großes Lob erteilte die TAGESZEITUNG der "Tatort"-Kommissarin Lena Odenthal zu deren 30-jährigem Dienstjubiläum:
"Ihre Rolle hat mehr für Frauenfiguren im deutschen Fernsehen bewegt als alle Intendanten der öffentlich-rechtlichen Sender zusammen", behauptet - gewiss in der Gewissheit, dass sich die rhetorische Großsprecherei empirischer Prüfung entzieht - die TAZ-Autorin Anne Haeming.
Dass die feministisch bewegte TAZ übrigens nicht frei von Mitleid mit dem männlichen Geschlecht ist, bewies die Kolumne "Andropause", über der die weisen Worte zu lesen waren:
"Der alternde Mann hat es weniger leicht, als viele denken. Die Hormone spielen verrückt, der Andropausenclown versteht die Welt nicht mehr. Die Frau ist weg, und sein bester Freund ist nun der Urologe."
Über Céline Sciammas typisch weibliche Erzählhaltung
Überlassen wir den alten weißen Mann seinem Schicksal – überall gefeiert wurde Céline Sciammas "Porträt einer jungen Frau in Flammen". Die Regisseurin habe, so die FAZ, "einen Kostümfilm gedreht, der aussieht wie kein anderer, einen Liebesfilm, als sei es der erste, einen Film über Kunst, wie es noch keinen gab".
Auch hier greift unser Hinweis, dass rhetorisches Außersichsein keiner Überprüfung standhalten muss. Doch freuen wir uns einfach über Verena Luekens Erklärung, warum Sciammas Film, der von der Liebe zwischen einer Malerin und ihrem Modell im Frankreich des 18. Jahrhunderts handelt, unzweideutig das Werk einer Frau ist:
"Weil in jedem Bild, in jedem Augenblick der Stille, jedem gesprochenen Satz, jedem Blick eine Aufmerksamkeit liegt, die weiblich ist insofern, als sie in Filmen von Männern nicht zu finden ist. Ein Abtasten von Körpern mit der Kamera, das keine Spur von Voyeurismus zeigt. Eine Hingabe von Liebenden jenseits von Macht. Eine Erzählhaltung, die auf den Pfeilern der genauen Wahrnehmung davon steht, in welcher natürlichen Position Frauen sich zur Welt befinden – in der Position der Kämpfenden nämlich, notgedrungen und täglich."
Kanye Wests Geniekult spaltet die Geschlechter
Und nun vergleiche man dieses Lob der Frauen aus der Feder Verena Luekens mit der Art der Anerkennung, die dem Rapper Kanye West ebenfalls in der FAZ für sein Album "Jesus is King" zuteil wurde.
"Hat er zu Gott gefunden oder Gott zu ihm?" lautete die Überschrift, die auch dem Nicht-Kenner verdeutlichte: Gott oder höhere Wesen ähnlicher Bauart sollten sich in puncto Selbstbewusstsein lieber nicht mit einem Kanye West anlegen.
Marin Andres warnte indessen davor, "sich von diesem Geniekult beeindrucken zu lassen. Fairerweise muss man aber konstatieren: Es gibt zurzeit wenige Pop-Musiker, die so viele Ideen haben wie Kanye West auf einem mittelmäßigen Album."
Der Pop-Kritiker Jens-Christian Rabe betonte in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, jedes Album von Kanye West sei ein "Versprechen auf einen nächsten Meilenstein der Gegenwartskunst" – und meinte:
"Der irritierend exzentrische Geltungsdrang ist in diesem Sinn auch kein Ärgernis, sondern so etwas wie der notwendige Katalysator für den vogelwilden Freiheitswillen und den oft grotesk kompromisslosen Wagemut des Künstlers Kanye West. Mit anderen Worten: Gäbe es den Größenwahn nicht, gäbe es auch keinen Grund, Freiheit und Wagemut in Pop-Geniestreiche zu verwandeln."
Wenn Männer Männer loben… hier der SZ-Autor Rabe den Rapper Kanye West.
"99 Dinge, die Sie tun sollten, bevor die Welt untergeht"
Reißen wir am Ende den ganzen großen Horizont auf. "Einen Plan für die letzten Tage der Menschheit" legte Frédéric Schwilden in der WELT vor und empfahl "99 Dinge, die Sie tun sollten, bevor die Welt untergeht". Womit er nicht die Zeitung des Springer-Verlages meinte.
Schwildens Tipp Nr. 38: "Einem sterbenden Menschen die Hand halten."
Tipp 76: "Sich von einem Hund über das Gesicht schlecken lassen."
Tipp 94: "Einmal ehrlich auf ‚Wie geht’s?‘ antworten."
Wir sagen: Ja, lassen Sie sich ganz ein auf das Leben vor dem Tode!
Und bedenken Sie, mit einer Überschrift der TAZ: "Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um."