Aus den Feuilletons

Schluss mit den muslimischen Gettos

Gedenken an die getöteten Zeichner des französischen Satiremagazins "Charlie Hebdo".
Gedenken an die getöteten Zeichner des französischen Satiremagazins "Charlie Hebdo". © picture alliance / dpa / Foto: Lp/Aurélie Ladet
Von Tobias Wenzel |
Die Konsequenz aus den Attentaten von Paris sollte die Zerschlagung der muslimischen Gettos in Frankreich sein, meint die "FAZ". Und auch die "Taz" schreibt, nicht die Staatsgewalt verhindere solche Anschläge, sondern Vereine, Lehrer und aufgeklärte Imame.
"Wir sind im Krieg", behauptet Pascal Bruckner im Gespräch mit der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG. Der französische Philosoph und Schriftsteller bezieht sich auf die islamistisch motivierten Morde in Paris:
"Uns hat die erste große Attacke getroffen, laut Spezialisten könnte Deutschland folgen [...]."
Bruckner fordert eine "theologische Reform des Islams". Er sei aber sehr pessimistisch: "Die Meinungsfreiheit wird sich verringern", prophezeit er. Nun sei "Schluss mit Karikaturen".
Die neue Ausgabe von "Charlie Hebdo" straft den französischen Autor allerdings Lügen.
"Es geht im neuen Heft von ´Charlie Hebdo` nach dem Massaker um alles, um den Kampf des Menschen gegen Tyrannei, um religiöse Unterdrückung und gegen den Tod selbst",
schreibt Nils Minkmar in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Die letzte Zeichnung des Heftes zeige einen "auflachenden Sensemann", der sage:
"Auch ich abonniere ´Charlie Hebdo`!" Minkmars Kommentar:
"Das letzte Wort hat der Tod. Aber wer ihn zeichnen kann, wer darüber dann lachen kann, der feiert das Leben."
"Gettos müssen zerschlagen werden"
Selim Nassib fordert in der TAZ, die muslimischen Gettos in Frankreich, in denen so viele für den Islamismus empfängliche jungen Menschen leben, "zu beseitigen".
Nassib denkt da nicht an die Staatsgewalt, sondern an
"Menschen vor Ort, Vereine, Nichtregierungsorganisationen, Ärzte, Lehrer, Sozialarbeiter, aufgeklärte Imame".
"Die Gettos müssen zerschlagen, die Türen geöffnet werden",
fordert auch Jean-Marie Le Clézio. Die FAZ zitiert, was der französische Literaturnobelpreisträger in "Le Monde" schrieb. Die Pariser Attentäter seien keine "Barbaren":
"Drei Mörder, geboren und aufgewachsen in Frankreich. Man kann ihnen überall und jederzeit begegnen."
Und das wiederum verändert uns.
Juden in Europa
"Allmählich beginnen die Bürger Europas zu begreifen, was der islamistische Terror über sie zu bringen droht",
schreibt, ebenfalls in der FAZ, der israelische Schriftsteller David Grossman.
"Ich rede vom Wissen, dass man seine Lieben vor der blinden Willkür des Terrors nicht schützen kann. [...] Und davon, [...] dass man automatisch jeden, der einem entgegenkommt, blitzschnell einordnet, um aufgrund seiner Hautfarbe, Kleidung, Aussprache augenblicklich die von ihm ausgehende Gefahr einzuschätzen. [...] Denn die wirklich zerstörerische Kraft des Terrors beruht darauf, dass er den Menschen letzten Endes mit jenem Bösen in Berührung bringt, das der Mensch selbst in sich birgt."
Schließlich erwähnt Grossman die Juden in Europa, die sich nicht mehr sicher fühlten. In der WELT berichtet Hannes Stein über einen Rabbi aus Washington D.C., der die US-amerikanische Regierung aufgefordert hat,. "den europäischen Juden Asyl zu gewähren"
Stein, selbst Jude, lässt seinen Artikel sehr persönlich enden:
"Ich möchte jedenfalls nicht, dass mein Sohn in einem Europa aufwächst, das im Grunde ein riesiger jüdischer Friedhof ist. Ich möchte nicht, dass irgendwer ihm ins Gesicht spuckt, weil er eine Kippa trägt."
Paris hat eine neue Philharmonie
Aus Paris gibt es allerdings auch etwas Positives zu berichten, was die Feuilletonisten sichtlich erleichtert. Die Stadt hat eine neue Philharmonie, die am Mittwoch eröffnet wurde. Sie ist zwar noch nicht fertiggestellt. Aber die Architektur- und Musikkritiker sind angetan und wagen manche Vergleiche und Metaphern.
Die FAZ spricht von einem "Kronjuwel der Pariser Musikstadt", die TAZ sieht in dem Bauwerk des Architekten Jean Nouvel einen "Piratenhut" und die NZZ "ein architektonisches Wunderwerk von einschmeichelnder Weichheit".
Manuel Brug von der WELT macht sich zwar erst über die äußere Wirkung der Pariser Philharmonie lustig: Das Gebäude sehe von hinten aus
"wie versteinerter Elefantenkot und von vorn wie ein Plattenhaufen, aus dem silberne Soße quillt".
Doch die hervorragenden akustischen Qualitäten des Philharmonie-Saales haben ihn zu folgendem euphorischen Satz inspiriert:
"Wie in einer Gebärmutter versinkt man kuschelig im weich abgefederten Klang."
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