Schönheit und Elend
Der "Tagesspiegel" beschäftigt sich mit der neuen Ausstellung des Fotografen Sebastião Salgado in Berlin. "Es gibt keinen Grund, die schwierigen Dinge hässlich darzustellen", sagt der Brasilianer.
Widersprüche sind was Feines. Aus Widersprüchen entstehen neue Gedanken und Konzepte. Zum Beispiel widerspricht in der BERLINER ZEITUNG und im TAGESSPIEGEL John de Mol den Vorwürfen, in seinen Programm "Newtopia" werde der Zuschauer getäuscht. Dieser Verdacht war aufgekommen, weil unglücklicherweise eine Mitarbeiterin sich dabei beobachten ließ, wie sie den angeblich autonomen Bewohnern des kameraüberwachten Camps Vorschläge zur Handlung unterbreitete. Folgt man de Mol, dann werden zwar die gelegentlich etwas lustlosen Darsteller daran erinnert, ein bisschen Tempo in das Programm zu bringen, aber ein Drehbuch gäbe es nicht.
Nun kann man sich vertrauensvoll denken, dass de Mol das gar nicht sagen dürfte, wenn es nicht wahr wäre, dennoch kann dieser Widerspruch zu einem neuen Gedanken führen, nämlich dem, dass man sich den ganzen Quatsch gar nicht erst anschaut. Was dann das Gegenteil von dem wäre, was de Mol mit seinem Widerspruch bezweckt hat. Aber nach der geistesgeschichtlichen Bastelanleitung (These – Gegenthese – neue These) wäre die Entwicklung nur folgerichtig.
Im Berliner TAGESSPIEGEL widerspricht der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado, der hier eine große Ausstellung eröffnet, dem gängigen Klischee, dass Schönheit nur aus Wohlstand entstehen könne, wie etwa Helmut Newtons Models. "Es ist ein Schock zu sehen", sagt er, "dass verhungernde Menschen in Äthiopien schön sein können." Und weiter: "Warum sollen nur die Orte, mit denen unser Gewissen im Reinen ist, schön sein? Es gibt keinen Grund, die schwierigen Dinge hässlich darzustellen." Es fällt schwer, Schönheit und Elend zusammenzubringen - aber vielleicht eröffnet die Verbindung dieser Widersprüche den Weg in eine ehrliche Fotografie und ein ehrliches Mitempfinden der Betrachter. Man ist sich aber nicht sicher. Kann sein, dieser Widerspruch ist doch zu groß.
Für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG hat Gustav Seibt viele aktuelle Bücher gelesen, die sich mit der Rolle Deutschlands in Europa beschäftigen. In der öffentlichen Wahrnehmung pendelt Deutschland zwischen der Angst vor hegemonialen Bestrebungen einerseits und dem Wunsch, das starke Deutschland möge doch eine europäische Führungsrolle übernehmen, andererseits.
Bei der Gelegenheit springen wir kurz zu Patrick Bahners in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN, der in New York einen Vortrag von Wolfgang Schäuble gehört hat und dabei auch den verschmitzten Schäuble-Scherz, dass ja nicht sicher sei, ob man nicht Wladimir Putin eines Tages den Aachener Karlspreis verleihen müsse wegen seiner Verdienste um die europäische Einigung. Das würde Putin sicherlich als Widerspruch zu seinen Absichten sehen – ist aber von Schäuble witzig und zukunftsorientiert zugleich gedacht.
Zurück zu Seibt in der SZ: Der hat auch das neue Buch von Herfried Münckler gelesen und entnimmt ihm – dankbar, wie es scheint – die These, dass der faktischen Macht Deutschlands in Europa immer widersprochen werde durch dessen moralische Verwundbarkeit aus der Geschichte, die schon dafür sorgen werde, dass die Deutschen – salopp gesagt – nicht abheben. Seibt: "Immerhin haben wir nun einen Gedanken, der uns erlaubt, uns die Sorgen der anderen Europäer zu eigen zu machen, ohne die reale Stärke zu verleugnen, die wir ja nicht einfach verschwinden lassen können."
In der SZ protestieren unabhängige Musikproduzenten dagegen, dass in ARD und ZDF zumeist die Titel der großen Produzenten Universal, Sony usw. gespielt werden, obwohl ein Drittel der in Deutschland verkauften Titel von unabhängigen Produzenten stammen. Im Programm der Öffentlich-Rechtlichen tauchen sie aber nur mit 5,5 Prozent auf.
Man darf erwarten, dass ARD und ZDF dazu in Widerspruch treten und kraftvoll darauf verweisen werden, dass es auch bei ihnen, wie schon bei John de Mol, kein diesbezügliches Drehbuch gebe. Aber sie könnten im selben Atemzug auch ankündigen, man werde die gelegentlich etwas lustlosen Akteure daran erinnern, ein bisschen mehr Abwechslung ins oft öde und gleichförmige Programm zu bringen.
Dann wäre es doch ein feiner Widerspruch.