Schon wieder diese Erfolgsverwöhnten!
Frei nach Miriam Meckels Buch "Brief an mein Leben" thematisiert der gleichnamige ZDF-Film mit Marie Bäumer in der Hauptrolle das Thema Burnout. Die Meinungen über die Vorlage und ihre Verfilmung gehen in den Feuilletons weit auseinander.
Von Mutation bis Völkermord – diese Presseschau wird unangenehm. Bringen wir gleich das Surreal-Alptraumhafte hinter uns:
"Ich hatte angenommen, dass Tschernobyl einen Einfluss haben könnte, aber keine Vorstellung, wie der aussehen könnte",
sagt die naturwissenschaftliche Zeichnerin und Künstlerin Cornelia Hesse-Honegger im Interview mit der TAZ.
"Als ich die erste missgebildete Wanze sah, wusste ich es. Sie hatte einen deformierten Fuß. So etwas hatte ich nie zuvor gesehen. Ich stellte mir vor, wie die Deformation im selben Maßstab bei einem Menschen aussehen würde. Nach der Entdeckung litt ich unter Alpträumen."
"Man hielt mich für eine Spinnerin"
Ein Jahr nach dem Super-GAU war Hesse-Honegger in Schweden, wo der radioaktive Niederschlag besonders groß gewesen war, und zeichnete die mutierten Wanzen.
Später reiste sie nach Tschernobyl selbst und an Orte mit unbeschädigten Reaktoren. "Wo waren die Mutationsraten am höchsten?", fragt die TAZ. "In der Nähe von Aufbereitungsanlagen oder unfallfreien AKWs", die überraschende Antwort der zeichnenden Feldforscherin.
Schwächere, aber über einen längeren Zeitraum wirkende Strahlung löse vermutlich eher genetische Schäden aus. Hesse-Honegger fand das am schlimmsten mutierte Tier in der Schweiz: "eine Wanze, der Beinteile aus dem Bauch wuchsen, Augenpigmente, die quer über den Kopf verteilt waren, ungleich lange Flügel und Körper. Grauenhaft."
Jahrelang glaubten Wissenschaftler den Deutungen der Zeichnerin nicht. "Man hielt mich für eine Spinnerin", erzählt sie. "Ich habe an keiner Universität mehr Arbeit bekommen."
"Er tut weh, dieser Film"
Die Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel hatte zu viel Arbeit und ein Burnout. Darüber schrieb sie das Buch "Brief an mein Leben". Davon ausgehend – die Frau mit Burnout ist nun die fiktive Ozeanografin Toni Lehmstedt – hat Urs Egger einen Spielfilm mit Marie Bäumer in der Hauptrolle gedreht, der an diesem Montag im ZDF läuft.
"Was will dieser Film?", fragt Heike Hupertz ratlos in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG.
"Verständnis wecken für das Thema Burnout? Eine weitere Erfolgsgeschichte der Erfolgsverwöhnten erzählen? Eine Haltung sucht man in 'Brief an mein Leben' vergeblich."
"'Brief an mein Leben' ist so ziemlich das Beste, was seit Langem zu sehen war im deutschen Fernsehen", schreibt, als hätte er einen anderen Film gesehen, Elmar Krekeler in der WELT.
Eine "sensationell dichte Erzählung" sei entstanden:
"Er tut weh, dieser Film, weil man gar nicht anders kann, als mit Marie Bäumer durch die Hölle der Toni Lehmstedt zu gehen, zu springen. Großartig."
Wird die EU von der Türkei erpesst?
"Wie soll man in einer Klangerzählung aufarbeiten, wie eineinhalb Millionen Menschen in die syrische Wüste getrieben werden, wie Kindern die Hände abgehackt werden, damit sie keine Nahrung und kein Wasser mehr aufnehmen können?",
formuliert Helmut Mauró in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG die Frage, die sich der Komponist Marc Sinan bei seinem Musiktheaterprojekt "Aghet" über den Völkermord an den Armeniern gestellt haben muss. Gefördert wurde das mit den Dresdner Sinfonikern erarbeitete Projekt von der EU und der Türkei, die ja bekanntlich diesen Völkermord leugnet.
Nun, nach einer Aufführung in Dresden, habe der türkische Botschafter in Brüssel erfolgreich verlangt, das Projekt von einer EU-Webseite zu löschen, berichtet Helmut Mauró in der SZ.
"Ein geplantes Gastspiel in Istanbul wurde untersagt", ergänzt Jan Brachmann in der FAZ. Der türkische Botschafter habe den "Dresdner Neuesten Nachrichten" zufolge der EU unter anderem mit "einer Revision des Abkommens zur Flüchtlingsfrage" gedroht. Die Türkei erpresse also die EU, deutet Jan Brachmann in der FAZ:
"Jetzt muss die EU zeigen, welchen Preis sie zu zahlen bereit ist für die Verteidigung ihrer Werte."