Sexismus und kein Ende
Auch mehrere Wochen nach Bekanntwerden der Missbrauchsvorwürfe gegen Harvey Weinstein befassen sich die Kulturredaktionen der Zeitungen vor allem mit einem Thema: Sexismus. In der "taz" stellen sich elf Autoren selbst an den Pranger.
Bei uns im Westen, da firmiert der Präsident der USA ja regelmäßig als "mächtigster Mann der Welt".
Wir vermuten jedoch, dass viele Chinesen selbiges Attribut eher ihrem Staatspräsidenten Xi Jinping beilegen würden.
Doch ob so oder so: Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG porträtierte in der vergangenen Woche den Politik-Stil beider Mächtiger.
Unter dem Titel "Mao reloaded" befasste sich Mark Siemons mit dem "Xi-Jinping-Denken", das die Kommunistische Partei Chinas auf ihrem jüngsten Parteikongress in die Statuten aufgenommen und wie folgt charakterisiert hat:
"Das Xi-Jinping-Denken ist eine Fortführung und Entwicklung des Marxismus-Leninismus, des Mao Tse-tung-Denkens, der Deng-Xiaoping-Theorie, der Theorie der drei Entwicklungen und des Wissenschaftlichen Entwicklungskonzepts. "
Ein voraussetzungsreicher Satz, fürwahr! Und auch etwas spröde! Aber bitte, es geht um die Marschrichtung der Weltmacht China – hören wir also auf den FAZ-Autor Siemons.
"[Entscheidend] ist wohl, dass überhaupt eine 'neue Ära' als solche definiert wird. Denn faktisch war Xis Politik in den vergangenen fünf Jahren […] schon der Politik [des Wirtschaftsreformers] Deng zuwidergelaufen. Die Dezentralisierung der Regierung […] wurde vielerorts zurückgenommen. Die Struktur der Partei wurde durch neue Querschnittsressorts ergänzt, die alle auf den Parteichef zulaufen […]. Außenpolitisch verabschiedete sich Xi von Dengs Maxime 'Die eigenen Fähigkeiten verstecken und Zeit gewinnen'; gegenüber den südostasiatischen Nachbarn tritt China immer offensiver auf, und mit dem gigantischen Infrastrukturprojekt der 'Neuen Seidenstraße' versucht das Land, die globalen Gewichte schrittweise zu verschieben."
Ein Land, das wie eine Firma geführt
Was China angeht also: "Mao reloaded" – und die USA?
"Her mit den Clowns!" hieß der FAZ-Artikel, in dem der Schriftsteller Richard Ford mit Blick auf US-Präsident Trump erläutert,
"was es bedeutet, wenn ein Land wie ein Firma geführt und die Demokratie kommerzialisiert wird".
"Erst behandelt man die Wähler und Steuerzahler wie kindische, anonyme Anteilseigner, die belogen werden müssen; dann personalisiert man die Führung, damit alles, was 'gut' für den Vorstandsvorsitzenden ist, automatisch auch als gut für das Land gilt; man macht das Gewinnen zum einzigen Ziel, ganz gleich, wer da gewinnt oder verliert (außer einem selbst); und schließlich erklärt man sich für unfehlbar, weil man reich ist. Wenn man von alledem die Nase voll hat, erklärt man das Unternehmen (also unser Land) für bankrott, […] und behandelt alle, die nun mit leeren Händen dastehen, als jämmerliche Verlierer."
giftete Richard Ford in der FAZ.
Unser Resümee des Xi-Trump-Vergleichs: Von Herzen gern leben wir unter keinem der beiden.
So weit das weltpolitische Seminar.
Am meisten – und sogar noch mehr als in der Vorwoche – befassten sich die Feuilletons mit dem Komplex "Sexismus".
"Regelt den Verkehr!" titelte die besorgte Wochenzeitung DIE ZEIT.
Lars Weisbrod glänzte mit der Idee, vor jeglichem Sex stets privatrechtliche Verträge abzuschließen – und bedachte auch mögliche Widerrede.
"Aber, fragt der Mann nun, der vom Status quo nicht lassen will, ist das überhaupt noch geil? Sex mit Vertrag und Klauseln und allgemeinen Verkehrsbedingungen? Natürlich ist es das, es kommt eben […] darauf an, wie man es macht. 'Man kann sich leicht eine bürokratische Verhandlung vorstellen, die dem Akt jede Leidenschaft nimmt. Gleichzeitig könnte sie selbst auch wieder libidinös aufgeladen werden', schreibt Slavoj Zizek […]. Dass Regeln und Lust sich nicht ausschließen, auch das wissen wir aus 50 Shades of Grey. Alles geht, nichts muss. Setzt geile Verträge auf!"
… posaunte der ZEIT-Autor Weisbrod.
"Gibt es eigentlich nur noch Opfer?"
Die Tageszeitung DIE WELT las sich das durch, schlug die Hände vors Gesicht und fragte drei Tage später: "Warum bringt eine notwendige Diskussion so extremistische Ideen hervor?"
Sieben WELT-Autoren verfassten "sieben Versuche zur Differenzierung".
Dabei grübelte Richard Kämmerlings: "Gibt es eigentlich nur noch Opfer?"
"Durch die Ausweitung des weiblichen Opferstatus über den klar definierten Bereich sexueller Gewalt hinaus auf den 'Alltagssexismus' wird jeder Mann zum potenziellen Täter. Solidarisierung bleibt nur als Selbstkritik zugelassen. Zugleich wird ein Frauenbild verfestigt, das Weiblichkeit exklusiv über den Opferstatus definiert […]. So entsteht ein Graben zwischen den Geschlechtern, der jeden Versuch der Überbrückung als Übergriff erscheinen lässt."
Zur These Kämmerlings – "Solidarisierung bleibt nur als Selbstkritik zugelassen" – bot die TAGESZEITUNG einen krassen Beleg…
Und zwar unter dem beispiellos auto-inquisitorischen Selbstbezichtigungs-Titel "Wie konnte ich nur so ein Arsch sein?".
TAZ-Autoren stellen sich an den Pranger
Elf TAZ-Autoren – alle männlich, sonst hätten wir AutorInnen gesagt – bekannten sich zu Handlungen, die beileibe nicht unters Sexualstrafrecht fallen, die aber auch nicht restlos einwandfrei im Sinne absoluter Einvernehmlichkeit oder unanfechtbarer Moralität waren.
Lassen wir die Einzelheiten! Unser Eindruck: Wer sich im Sturm der Korrektheit derart an den öffentlichen Pranger fesselt wie die TAZ-Autoren, hat sich selbst eine Opfer-Plakette in Gold verdient.
Entfernt passend dazu, führte René Scheu in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG aus, "wie Progressive das Erbe der Aufklärung verspielen".
"Progressiv nennen sich jene, die den menschlichen Fortschritt als moralische Aufgabe betrachten. Sie greifen ein, um die Gesellschaft in jene Richtung zu zwingen, die aus ihrer Sicht die einzig richtige sein kann. Ihre Zauberworte lauten Emanzipation, Integration und Inklusion, sie sehen sich als Avantgarde von Weltoffenheit und Toleranz. […] [Aber] wie lässt sich erklären, dass dieselben sich progressiv nennenden Leute, die überall rassistische Diskriminierung wittern, ihre Kritiker selbst gerne mit Verweis auf Hautfarbe und Geschlecht diskreditieren, mit Vorliebe als wütende weisse Männer?"
Okay, das war’s für heute. Wir verabschieden wir uns mit einer in puncto Sexismus sehr hübschen Überschrift der WELT.
Sie lautete: "Jein heißt Jein."