Soundtrack zu seinem Abschied
Aus "Last Christmas" sein "last Christmas" zu machen, ist reichlich platt, und trotzdem machen es einige Blätter, die George Michael gedenken, der am ersten Weihnachtsfeiertag starb. Der "Tagesspiegel" hält gar das Timing für "absolut perfekt".
"Die letzten Weihnachten", titelt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG zum Tod des Londoner Pop-Sängers George Michael und deutet damit nur den Gedanken an, den andere Musikkritiker ausformulieren, wie Gerrit Bartels im TAGESSPIEGEL: "Wäre es nicht so traurig, müsste man sagen, dass das Timing dieses Todes absolut perfekt ist: 'Last Christmas‘ heißt einer der größten Hits von George Michael, einer der unvermeidlichsten, aber nun mal besten, wie es scheint, mit jedem Jahr besser werdenden Weihnachtspopsongs aller Zeiten – und in der Nacht vom ersten auf den zweiten Weihnachtstag dieses Jahres stirbt George Michael, gerade einmal 53 Jahre alt, zuhause in London."
In dieser "persönlichen […] Tragik" meint Edo Reents von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG gar "etwas exemplarisch Heutiges" entdeckt zu haben. Nachdem sich George Michael in seinen besten Jahren als "maßgeblicher weißer Soul-und-Funk-Musiker von großem künstlerischem Ernst etabliert" habe, seien seine Platten zum Schluss "teilweise auch etwas langweiliger" geworden. Die "Tendenz zur Selbstverliebt- und Selbstverlorenheit" sei hörbar gewesen.
Mit dem Algorhitmus durch die Stadt
Adrian Lobe mag das verlorene Spazieren und Suchen, merkt man beim Lesen seines Artikels in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG: "Der Flaneur, für den die Stadt Gegenstand unablässiger Entschlüsselungen ist, ein Rätsel, das sich durch Begehung langsam löst, stirbt durch die Aufschlüsselung des urbanen Raums allmählich aus", schreibt Lobe mit Blick auf Smartphone-Apps. "Algorithmen führen uns durch die Stadt", lautet der Titel des Artikels. "Vor wenigen Monaten hat Google ein Update seines Kartendienstes veröffentlicht, bei dem mithilfe eines Algorithmus Gegenden mit besonders hoher Restaurant-, Café- und Kneipendichte orange markiert werden. Dadurch widmete Google kurzerhand gewisse Quartiere zu ‚areas of interest‘ um. Doch wessen Interesse ist hier gemeint?", fragt Lobe und fährt fort: "Während Sawtelle, ein wohlhabendes Wohnviertel zwischen Santa Monica und Beverly Hills in Los Angeles, in Orange getaucht ist, bleibt der zentraler gelegene, aber ärmere und zumeist von Latinos bevölkerte Stadtteil Westlake weitgehend grau, obwohl es auch dort eine Fülle von Bars und Restaurants gibt."
Kurz: Es gehe Google um Geschäftsinteressen. Und dabei hilft der Smartphone-Besitzer, der Zugriff auf seinen Standort zulässt, Facebook und die Google-Suchmaschine nutzt. In den Worten von Adrian Lobe: "Wenn Google aus unseren früheren Suchanfragen ableitet, dass wir eine Präferenz für Starbucks haben, lotst uns der Kartendienst wenn möglich bei der Wegbeschreibung an einer Starbucks-Filiale vorbei."
Besuch bei der Fächerfrau
Der Flaneur, der individualistische Streuner und Selbstentscheider, stirbt also aus. Das klingt schon düster. Noch Düstereres kann man in der WELT lesen, den Albtraum eines belgischen Journalisten, in dem seine Kinder den Krieg in Europa erleben. Aber anstatt diese Kulturpresseschau in Richtung Apokalypse zu reiten, dann doch lieber zum Schluss noch etwas Leichteres: Annabelle Hirsch berichtet in der FAZ, wie der bedeutende russische Kunstsammler Sergei Schtschukin Picassos Gemälde "Frau mit Fächer" kaufte und mit ihm und der abgebildeten Frau innerlich rang: "Wenn er sie ansieht, so schreibt er, scheint es ihm, als würde er ‚Glassplitter in seinem Mund zermalmen‘: Er ekelt sich vor ihrem Anblick, ihren scharfen Kanten und gedeckten Farben […]. Für mehrere Wochen verbannt er Picassos Fächerfrau in einen dunklen Flur, besucht sie ab und zu, bis sie dann doch plötzlich seine Leidenschaft entfacht und er innerhalb von drei Jahren dreißig Picassos kauft."