Aus den Feuilletons

Soziale Folklore in der Globalisierung

Ein Portrait des Schriftstellers Maxim Biller
Maxim Biller beschimpft in der ZEIT sein Publikum. © picture alliance/dpa/Karlheinz Schindler
von Arno Orzessek |
In der ZEIT beschäftigt sich Gero von Randow mit der Notwendigkeit einer neuen linken Volkspartei. Der Schriftsteller Maxim Biller beschimpft sein Publikum.
"Es liegt etwas in der Luft. Vielleicht bleibt es da auch, in der Luft. Vielleicht aber schlägt es sich nieder." So poetisch-erwartungsvoll, aber auch leise dräuend beginnt in der Wochenzeitung DIE ZEIT ein Artikel, in dem sich Gero von Randow die neuerdings oft gestellte Frage vorlegt: "Brauchen wir endlich eine neue linke Volkspartei?"

Braucht es eine neue linke Volkspartei?

"Ausgangspunkt könnte die Einsicht sein, dass die Globalisierung die Gesellschaften mitnichten in zwei Lager teilt: die Verlierer und die Gewinner, die Zurückgelassenen und die Mobilen, die somewheres und die anywheres, die Malocher und die Hipster, die Land- und die Instagram-Bewohner, die Normalos und die Inhaber einer Spezial-Identität. Diese soziologische Folklore verstellt den Blick darauf, dass sich keineswegs nur eine bestimmte soziale Gruppe unbehaglich fühlt in einer Welt, in der jederzeit der katastrophale Abbruch des Vertrauten und der Einbruch des Bösen droht."
Oberlehrer-Einwurf unsererseits: Eine linke Volkspartei auf die Erkenntnis zu gründen, dass die Globalisierung eigentlich allen unbehaglich ist, und im selben Atemzug sämtliche geläufigen Unterscheidungen als "soziologische Folklore" zu verwerfen, zeugt nicht gerade von beinharter Gedankenarbeit. Und dass von Randow lässig empfiehlt, sich beizeiten "mit Begriffen wie Macht, Interesse und Kapital" auseinanderzusetzen, verstärkt den Eindruck intellektueller Feierabendstimmung.
Immerhin scheint der ZEIT-Autor mögliche Bedenken an der Überzeugungskraft seiner Ausführungen geahnt zu haben und windet sich mit einer Frage aus dem Artikel: "Ich höre, das seien ja nur Ideen. Doch was heißt hier eigentlich ‚nur‘?" So suggestiv-vage und schlapp würde sich ein Maxim Biller natürlich nie äußern.

Maxim Biller beschimpft das Publikum

Der Klartext-Fetischist wirft – wiederum in der ZEIT – die Frage auf "Wer ist hier das Arschloch?" und macht sich, so verspricht es die Unterzeile, Gedanken "über den Wert der Polemik angesichts von Pegida, Yoga und Heiko Maas". Allein, im Artikel selbst wählt Biller, der Argumente gemeinhin spießig findet, das bewährte Stilmittel der Publikumsbeschimpfung.
"Jetzt sage ich Ihnen, was mir zurzeit unglaublich auf die Nerven geht: dass Leute wie Sie immer öfter so tun, als hätten die Hass- und Hetz-Atmosphäre im Internet und die radikale, aggressive, sorgfältig komponierte Polemik irgendetwas miteinander zu tun. Meinen Sie das im Ernst? Wollen Sie tatsächlich Donald Trumps nächtliche Twitter-Angebereien und antisemitische Facebook-Tsunamis, frauenfeindliche Tiraden und obszöne FSB-Propagandalügen mit den verbalen Ein- und Ausfällen eines Heinrich Heine, eines Karl Kraus oder frühen Henryk M. Broder vergleichen? Ja, genau das wollen Sie!"
Okay, liebe Hörer, dann wissen Sie jetzt über Ihre Niedertracht Bescheid! Richten Sie Ihren Dank oder Undank an den Volksaufklärer Maxim Biller.

Die 68er dürfen gehen

Unter uns: Ergiebiger als der von Randow- und der Biller-Artikel erweist sich in der ZEIT das Gespräch mit dem Soziologen Heinz Bude über die gerühmten und geschmähten 68er.
Der Kasseler Soziologe Heinz Bude
Der Soziologe Heinz Bude © imago/Christian Thiel
Miriam Lau möchte von Bude wissen, ob er – nicht zuletzt aufgrund seines neuen Buches "Adorno für Ruinenkinder" – "Therapeut und Richter der Achtundsechziger in einem" sei?
"Ja, ich will den Achtundsechzigern sagen: Ihr habt einen unglaublichen Versuch der Befreiung gewagt. Da habt ihr revolutionäre Arroganz mit rebellischem Elan vermischt. Das ist euer Erbe, und es ist nicht abzusehen, dass so etwas so bald noch mal geschieht. Jetzt seid ihr zwischen 70 und 80 Jahre alt und seht eure Altersgenossen links und rechts wegsterben. Jetzt dürft ihr gehen und eure Kinder was anderes machen lassen."
So Heinz Budes Sterbe-Hilfe für die 68er in der ZEIT. Falls Sie nun fordern, liebe Hörer, dass wir jetzt endlich mal eine andere Zeitung aufschlagen, entgegnen wir Ihnen mit einer Überschrift aus der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG: "Nichts zu machen."
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