"Stalin wäre schockiert"
Der Blick in die Zeitungen offenbart, warum die Lage Russlands so dramatisch ist, dass selbst übelste Diktatoren erschrocken wären – meint zumindest der Schriftsteller Wladimir Sorokin. Und dann gibt's noch eine Feuilleton-Rarität: einen Rumänen-Witz.
So weit wir die Lage überblicken, fristen Rumänen-Witze im deutschsprachigen Feuilleton ein Schattendasein. Weshalb wir den Rumänen-Witz aus der aktuellen FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG anständigerweise erwähnen wollen.
Dass der Witz für eine Kulturpresseschau etwas zu lang ist – sei's drum. Denn erstens sind, wie gesagt, Rumänen-Witze Feuilleton-Raritäten. Und zweitens macht ein langer Witz unsere eigene Arbeit kürzer.
Darum also:
"Gott, recht unvoreingenommen, verteilt seine Gaben für die Länder dieser Erde. Rumänien überreicht er strahlende Gebirge, dunkle Wälder und die sattesten Wiesen. Petrus zupft am Gottesmantel und raunt: 'genug, genug'. Doch die Gaben senken sich weiter auf Rumänien, die reinsten Flüsse, goldene Felder und ein ganzes Donau-Delta. Petrus mahnt aufs Neue, doch Gott schüttet noch die herrlichsten Früchte, Blumen und die schönsten Tiere auf das Land. Jetzt protestiert Petrus: 'Was zu viel ist, ist zu viel.' Gott verspricht endlich, seine Maßlosigkeit Rumänien gegenüber zu zügeln: 'Ich werde mich dann wohl bei den Menschen etwas zurückhalten.'"
Deutscher Spitzenkandidat für die Wahl in Rumänien
Frieder Schuller erzählt diese Schote in der FAZ, weil ein rumänischer Spitzenpolitiker sie im Fernsehen erzählt hat – es sei in zynischer oder selbstkritischer Absicht. Inhaltlich geht's Schuller um die bevorstehende Wahl in Rumänien und näher um Klaus Johannis. Der Spitzenkandidat der Christlich-Liberalen Allianz gehört zur deutschen Minderheit des Landes und bekommt derzeit viel Lob von der Art "ein Mann – ein Wort".
Warum Johannis auch noch von dem alten rumänischen Hohenzollern-König Carol I. profitiert, dem zweiten deutschen Hauptdarsteller des FAZ-Artikels "Er lügt nicht, er stiehlt nicht, er ist seriös!", das lesen Sie bitte selbst nach. Sie erfahren Erstaunliches.
Wir blättern – im Computer – die Wochenzeitung DIE ZEIT auf und stoßen auf die These: "Auch Stalin wäre schockiert.'"
Dass Stalin jemals über irgendetwas oder gar seine eigenen Taten schockiert gewesen wäre, wäre uns neu. Aber tatsächlich behauptet der russische Schriftsteller Wladimir Sorokin, der in Berlin lebt und Berlin liebt, genau das im Blick auf den Zustand Russlands.
"Ich habe den Eindruck, dass wir in die letzte Phase dieses Staates eintreten. Es erinnert alles an die Agonie eines Todkranken. Ein großer Organismus stirbt und verfällt plötzlich in Aggression."
"Große Angst vor der Revolution"
Was der auf steile Thesen spitzen ZEIT noch nicht reicht – und so bohrt sie weiter: "Welche Symptome sehen Sie noch?"
Darauf Sorokin: "Wachsende Paranoia, eine große Angst vor der Revolution, vor der fünften Kolonne, vor einem Maidan-Aufstand in Moskau. Man sieht das an den staatlichen Kanälen. Daraus fließt ein unaufhörlicher Strom des Hasses auf den Westen, auf die Ukraine. Russland hatte niemals mit der Ukraine Krieg geführt. Man schießt sich doch ins eigene Knie [dabei]. Diese Absurdität ist eine von heute. Wenn Leonid Breschnew wüsste, dass die Ukraine und Russland gegeneinander kämpfen, wäre er zutiefst entsetzt. Auch Stalin wäre schockiert."
Um ausgewogen zu bleiben, müssen wir nun natürlich auch etwas Schlechtes über den Goldenen Westen sagen. In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG beschreibt der Soziologe Stephan Lessenich die tatsächlich bevorzugten Lebensverhältnisse der meisten von uns, gibt aber auch deren Kosten an:
"Westlicher Wohlfühlkapitalismus lebt nicht über seine Verhältnisse. Er lebt über die Verhältnisse anderer."
Wie menschliche Beziehungen ökonomisiert werden
Wobei die anderen auch mitten unter uns sind. Und damit befasst sich der Film "Zwei Tage, eine Nacht" von Jean-Pierre und Luc Dardenne. Der Ausgangspunkt: Die depressive Sandra, gespielt von Marion Cotillard, behält ihren Job im kriselnden Betrieb nur dann, wenn sie ihre Kollegen zum Verzicht auf Bonus-Zahlungen bewegen kann.
Anke Westphal betont in der BERLINER ZEITUNG:
"In nur 90 Minuten wird klar, dass der Weg in die transhumane Gesellschaft der Zukunft mit Schein-Optionen und einer totalen Ökonomisierung menschlicher Beziehungen gepflastert ist."
Leider gibt's heute keine tolle Überschrift, mit der wir uns – wie gewohnt – am Ende selbst stoppen könnten. Und das ist, um es mit dem Titel einer Rubrik aus der ZEIT zu sagen, nun wirklich "Das Letzte".