Stefan George zum 150. Geburtstag
Zu Lebzeiten ein Rätsel, heute noch immer umstritten: Der Dichter Stefan George wäre am 12. Juli 150 Jahre alt geworden. Alle großen deutschen Zeitungen gratulieren ihm - teils kritisch, teils voller Ehrerbietung.
Zum 150. Geburtstag von Stefan George suchen alle Feuilletons nach Worten für den Dichter, der laut SÜDDEUTSCHER ZEITUNG "den Zeitgenossen ein Rätsel, für die Nachwelt ein Skandal war", und sie suchen nach der Balance zwischen dem hohen, bisweilen auch sehr raunenden Ton der Kunst und der Ergebenheit, die der berühmte George-Kreis dem Meister entgegen brachte.
Dieser Kreis artete dann in der Nachfolge in ein Jüngertum aus, das die ZEIT mit "großes Abrakadabra im zweiten Stock" umschreibt. Damit ist sexueller Missbrauch gemeint. Wie gesagt, es geht dabei um diejenigen, die "im Schatten des Meisters" – wieder SÜDDEUTSCHE ZEITUNG – agierten, ihm tatsächlich oder vermeintlich nachfolgten, aber den Ruf des Dichters hat es kräftig mit lädiert.
Den Zeitgenossen ein Rätsel
"Kann man Stefan George unbefangen lesen? Sein Werk ist der Gegenwart vollkommen fremd geworden. Eben das ist ein Grund, es noch einmal aufzuschlagen" – unter diesem Motto liefert uns die Süddeutsche eine komplette Stefan-George-Seite, in der Jens Bisky erst einmal auf den "hohen Ton, die herrscherlichen Gesten, die gewaltige Wirkung in der Geistesgeschichte" abhebt, um den Dichter dann ganz profan als "ohne Brotberuf, ohne festen Wohnsitz, viel auf Reisen" zu stutzen und gleich hinterher zu schieben: "George war einer der besten Bahnkunden seiner Zeit." Aha.
Man kommt ihm schwer bei, dem Dichter Stefan George, und seiner Persönlichkeit noch weniger. Gustav Seibt sucht und findet seinen dichterischen Rang "im Detail", fernab vom Geraune um Kleinschreibung, "eigener Sprache und hohem Ton".
Der TAGESSPIEGEL titelt "Im Bannkreis der Sphinx", stellt fest, Georges Gedichte seien "wahre Wunder an Bild und Klang" und fragt zugleich: "Wo liegen die Grenzen zwischen Pädagogik, Eros und Kriminalität?"
"Ignoriert das schwule Getue"
Norbert Hummelt findet darauf nicht so recht eine Antwort, nur Matthias Heine in der WELT bezieht eindeutig Position: "Meistergedichte", und weiter: "Vergesst die Fotos, auf denen George aussieht wie eine alte Frau im Anzug, die starr ihre Schokoladenseite zeigt,..ignoriert die Priesterpose…Vergesst vor allem den George-Kreis! Ignoriert das viertel-, halb- und ganz schwule Getue, lasst Euch nicht abschrecken von den Zickenkriegen des Männerbundes!" Wer das kann, findet eine Sprache, an der man sich mit Wonne betrinken kann. Wer das nicht kann oder möchte, dem bleibt Stefan George wohl weiterhin fremd.
Und wie brechen wir jetzt den "hohen Ton, die herrscherlichen Gesten, die gewaltige Wirkung in der Geistesgeschichte"? Höchstmöglich profan diesmal.
"Wer räumt jetzt die Kisten weg?" fragt die TAZ entrüstet und postet allerhand Blechkisten auf vier Rädern, die unverschämterweise bevorzugt auf Fahrradwegen stehen. Auch das ist Feuilleton, vom hohen Ton zur handfesten Forderung: "Weg mit den Dingern – und zwar auf Kosten der Verursacher! Freie Fahrt für alle, kostenlose Räder für alle – und überhaupt!"
Neo Rauchs Bühnenbild für Lohengrin
Bis es dazu kommt, ist die Bayreuther Lohengrin-Inszenierung bestimmt lange vorbei. Neo Rauch und Rosa Loy schaffen das Bühnenbild und lassen sich von der ZEIT vorab ein bisschen über die Schulter gucken, sprechen über "das Licht der Aufklärung, das ewig Unergründbare" - klar, auch bei Wagner raunt es heftig! – und den "Gleitfilm der Musik".
Damit hat sich Neo Rauch sehr tiefgehend befasst: "Wagners Lohengrin hatte nun seit sechs Jahren die Rolle eines Dauergastes in meinem Atelier. Er bildete den Rahmen für meine ganze Atelierarbeit."
In ein paar Tagen werden wir wissen, welche (Bühnen)bilder diesem "Rahmen" tatsächlich entstiegen sind, aber für die Hauptfigur, den Lohengrin, hat der Maler Neo Rauch schon ein ganz handfestes inneres Bild gefunden. Der rätselhafte Lohengrin? Der ist, ganz einfach, "die Birne, die man in die Fassung schraubt".