Aus den Feuilletons

Tänzer rebellieren gegen Sasha Waltz

Sasha Waltz, die neue Intendantin des Staatsballetts Berlin
Sasha Waltz, die neue Intendantin des Staatsballetts Berlin © dpa / picture alliance / Wolfgang Kumm
Von Burkhard Müller-Ullrich |
Der Protest gegen die Ernennung von Sasha Waltz zur Intendantin des Berliner Staatsballetts ist gewaltig: Ein Tennis-Trainer könne keine Fußballmannschaft trainieren, kritisieren die Tänzer des Hauses in einer Petition. Die "Welt" wundert sich über diesen Aufstand.
Es brodelt beim Berliner Staatsballett, der größten deutschen Ballettcompagnie, seitdem vor einer knappen Woche die - wie soll man sagen? - Choregrafin, Tanzerfinderin, Körpersprachkünstlerin, Klangbewegungsvirtuosin Sasha Waltz, "die ballettferne Sasha Waltz", wie Manuel Brug in der WELT schreibt, als neue Chefin präsentiert wurde.
Zwar soll sie das Amt erst in drei Jahren antreten, aber der Unmut vieler Tänzer brodelt jetzt und ist am Sonntag in der Komischen Oper schon sichtbar übergekocht. Vor der Tür wurde eine "Rettet das Staatsballett"-Banderole hochgehalten, und auf der offiziellen Staatsballett-Webseite kann man Ähnliches sehen.
"Das heißt", folgert der WELT-Autor messerscharf, "hier stellt sich auch die gegenwärtige Leitung ganz offen gegen die zukünftige!"

Ausgerechnet Tänzer!

Doch interessanter als das, was die Leitung in Gestalt des abgehalfterten Nacho Duato tut, ist nach Ansicht von Manuel Brug, dass es:
"... ausgerechnet die Tänzer (sind), die hier Widerstand leisten. Für gewöhnlich stehen sie ganz unten in der Theaterhierarchie, sind schlecht organisiert, fast zu 100 Prozent nicht mehr Deutsche, mit kurzzeitigen Verträgen, immer auf dem kreativen Sprung, mit 40 meist längst aussortiert - während sich so mancher felsenfest angestellte Chorist dann noch 25 Jahre lang mit imer größerem Vibrato der Rente entgegensingt."
Diese "Tanzplebejer", wie Brug sie bezeichnet, proben jetzt also den Aufstand, weil die - noch eine Formulierung aus der WELT - "beratungsresistenten Politiker" mit der Waltz-Wahl ein eklatantes Votum gegen jede Art von Kontinuität abgegeben haben. Und nur Kontinuität, so Brug, würde das Staatsballett weiterbringen.
Für eine gewisse Kontinuität in Berlin sorgt hingegen zuverlässig seit 2008 der Leiter der Nationalgalerie Udo Kittelmann, auch wenn er sich selbst als einen großen Neuerer betrachtet, hat er doch schon zwölf Jahre zuvor in Köln künstlerische Meilensteine kuratiert, wie er im Interview mit dem TAGESSPIEGEL bescheiden erklärt.

Kontinuität im kunsttheoretischen Geschwurbel

Die Kontinuität liegt also eher woanders, und nach Lektüre dieses TAGESSPIEGEL-Interviews besteht kein Zweifel, wo: im kunsttheoretischen Geschwurbel nämlich. Hier ein Beispiel:
"Wir befinden uns in einer Zeit, in der vormalig etablierte Kategorien schneller als zuvor in Bewegung geraten, auch hinsichtlich gesellschaftlicher und politischer Strukturen. Die Dinge geraten an allen Ecken und Enden in eine beschleunigte Verflüssigung."
Hm, denkt der Leser flüssig, das lässt sich ja alles nicht von der Hand weisen, aber was folgt daraus für die Kulturinstitutionen? Beziehungsweise: was wird Kittelmann daraus folgern? Sollen die Kulturinstitutionen vielleicht solche Veränderungen unkritisch ignorieren? Oh nein, der Originaltext lautet vielmehr:
Solche Veränderungen sollten auch von Kulturinstitutionen kritisch begleitet werden. Man sollte sich in solche Debatten einmischen.
Das ganze Interview, wir sind in der Abteilung Kontinuität, besteht aus solchen Weisheiten. Mal fordert Kittelmann:
"Ein Museum für Gegenwart sollte genauso kreativ sein wie Künstler. Daraus entwickelt es seine gesellschaftliche Relevanz."

"Das Museum als sozialer Raum"

Mal lässt er wissen:
"Die Kunst berührt häufig gesellschaftlich relevante Themen, diese wollen diskutiert werden."
Und die Summe der Erkenntnisse lautet:
"Das Museum als sozialer Raum gewinnt zunehmend an Bedeutung."
Offenbar hat der TAGESSPIEGEL Mitte September jede Menge Platz im Feuilleton.
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