Aus den Feuilletons

Toy Boys und Twitter

Ein Blitz durchzieht einen lilagefärbten Himmel.
Lila soll die Farbe des Jahres 2018 werden. © imago/ Imagebroker
Von Tobias Wenzel |
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG mag kein Lila, obwohl es die Farbe 2018 werden soll, die TAZ setzt auf T.C Boyle und der SPIEGEL auf den twitternden Gottschalk. Tobias Wenzel blickt auf die Kulturseiten dieser Woche zurück.
Preisfrage: Wie füllt man eine leere Feuilletonseite in der nachrichtenarmen vorweihnachtlichen Zeit? Antwort: mit Fotos von zwei Dutzend Weihnachtshampelmännern. Das mit dem Preis für die Beantwortung der Frage war natürlich gelogen.
Aber die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG hat sehr wohl Preise vergeben. Unter denjenigen, die in der Ausgabe vom 26. November Kat Menschiks Bastelanleitung für einen Weihnachtshampelmann beherzigten und die individuell gestalteten bunten Hampelmänner der Redaktion schickten. Die fotografierte die hübschesten ab. Und zack war die Feuilletonseite voll.
Andere Strategie: einfach über das schreiben, was es zu Hauf in der Welt gibt. Zum Beispiel Farben. Dem "Urin Durst leidender, einzig mit Mangos gefütterter Kühe entlockten die Inder die Farbnote ‚Indisch Gelb‘", berichtet Airen, ebenfalls in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG.

Die Farbe des Jahres

Gerhard Matzig setzte in dieser Woche in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG auf Violett. Violett soll laut einer Firma für Farbkommunikation (erstaunlich, dass es so etwas überhaupt gibt) Farbe des Jahres 2018 werden. Matzig schien sich zwar über das Thema in themenlosen Tagen zu freuen, nicht jedoch über das Lila selbst:
"Die Violett-Farbgruppe, die entsteht, wenn man dem Blau seine kühne Souveränität und dem Rot sein leidenschaftliches Temperament nimmt, eine klassische No-Win-Konstellation, ist im physikalischen Lichtspektrum nicht enthalten."
Lila, die Farbe der sexuell Frustrierten. Die dann wohlmöglich zur Prostituierten Salomé Balthus gehen. DIE WELT ließ sie gerne in dieser dösigen Vorweihnachtszeit über ihren Beruf plaudern, auf fast einer ganzen Seite. Und zwar im Feuilleton, weil Hannah Lakomy, wie sie richtig heißt, die Tochter des DDR-Liedermachers Reinhard Lakomy ist.
Sie berichtete, wie Volker Kauder sie in einem Flugzeug ansprach:
"Das ist aber nett, mal so eine adrette junge Dame als Flugnachbarin zu haben. " – "Und ich finde es interessant, einen CDU-Politiker einmal persönlich kennenzulernen. Sonst kenne ich nämlich nur Leute von der Linken, wie Gregor Gysi zum Beispiel." – "Sie kennen den Gysi? Was machen Sie denn beruflich?" – "Ich bin Prostituierte." – "Nicht doch." – "Doch, Herr Kauder. Aber nicht dass Sie jetzt denken, der Gysi wäre einer meiner Kunden. Den kannte ich vorher schon." – "Sie, eine Prostituierte? Aber Sie sehen doch so nett aus."

Männer zu Toy Boys

Bleiben wir beim Sex:
"Wissen Sie, ich stelle mir die Zukunft sehr gern so vor, dass Frauen übernehmen und Männer zu einer Art Toy Boys werden. Männer sind dann gut für Sex und reparieren Autos und haben coole Hobbys. Aber Frauen verdienen das Geld", erzählte der US-amerikanische Schriftsteller T. C. Boyle in der TAZ. Und Interviewerin Annabelle Seubert erwiderte: "Das deckt sich mit meiner Vorstellung von der Zukunft."
Die sieht Boyle, mit dem man immer intelligent Feuilletonseiten füllen kann, allerdings, wenn er dann mal ernst ist, so gar nicht rosig:
"Empathie und Demokratie sind Luxus", sagte er. "Ein Großteil der Erde wird von Gangs bestimmt, von Banden, schon immer, sei es von Königen oder Kaisern oder den Nazis oder dem IS oder Trump und seinen Millionären. Oder von Putin. Es grenzt an ein Wunder, wie wir in Europa und Amerika leben. Und vielleicht endet dieses Wunder, so schwarz das klingt." Seubert hakte nach: "Also dann, Mister Boyle, was können wir tun?" Seine Antwort: "Sterben. Wir können sterben. Und genau das werden wir tun." Da musste er dann allerdings lachen.
Nikolaus muss nicht mehr sterben. Aber vielleicht wieder sein Grab verlassen.
"Im Oktober wurde unter dem Boden des St.-Nikolaus-Museums im Kreis Demre in der Provinz Antalya ein offenbar unbeschädigter Schrein entdeckt", schrieb Can Dündar in seiner Kolumne "Meine Türkei" für DIE ZEIT.
"Dem Direktor der lokalen Denkmalbehörde zufolge wurde bei elektromagnetischen Untersuchungen eine geheime Grabkammer darin ausgemacht, in der sich höchstwahrscheinlich die Gebeine des heiligen Nikolaus befänden. Die Türkei stürzte sich auf diese Möglichkeit, denn da sie dabei ist, die Verbindungen zur Welt zu kappen, hat sie eine äußerst schwierige Tourismussaison hinter sich. Man braucht dringend christliche Touristen, die nun aus dem Sack des ersten Vorfahren des Weihnachtsmanns springen sollen."

Zwiespältiges Verhältnis zum Weihnachtsmann

Allerdings sei das Verhältnis der Türkei zum Weihnachtsmann "zwiespältig", schrieb Can Dündar und erläuterte das so:
"In den vergangenen Jahren schwenkte das Land […] auf die islamistische Linie ein, und der Weihnachtsmann, inzwischen zum Symbol für Christentum, Westen und modernen Lebensstil mutiert, wurde zum Angriffsziel. In Einkaufszentren wurde auf Weihnachtsmannballons eingestochen, auf Straßen wurden vor Weihnachtsmannfiguren Spirituosen und Drogenspritzen drapiert, auf Plätzen hielt man ihm die Pistole an die Schläfe, auf Kinderspielplätzen wollte man ihn beschneiden."
Mit einem beschnittenen Weihnachtsmann sollte man nicht die letzte Kulturpresseschau vor Weihnachten enden lassen. Dann doch lieber mit einem unversehrten Jesus, über den Umweg eines Moderators: "Seit Kurzem hat Thomas Gottschalk eine neue Show. Ohne Wetten und ohne Günther Jauch. Eigentlich ist es keine richtige Show. Thomas Gottschalk schreibt Kurzmitteilungen auf Twitter", berichtet Jonas Leppin im neuen SPIEGEL.
"Begonnen hat das alles mit einem Selfie. Im April twitterte Gottschalk ein Selbstporträt aus Zermatt. Dazu schrieb er: ‚Hier seht ihr den Vatter vorn und hinter mir das #Matterhorn‘." Gottschalk funktioniere sehr gut auf dem Kurznachrichtenkanal und habe nach einem Millionenpublikum im Fernsehen nun 80 000 Twitter-Anhänger. "Das ist ein sehr kleiner Scheinwerfer", kommentiert der SPIEGEL-Autor. "Andererseits: Jesus hatte am Anfang sogar nur zwölf Follower."
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