"Und Angela Merkel sagte nichts"
"Cumhüriyet"-Chefredakteur Can Dündar hat Kanzlerin Angela Merkel in der "Berliner Zeitung" kritisiert. Bei einer Pressekonferenz mit Erdogan habe sie geschwiegen, als der türkische Premier behauptete, "es gibt keine Journalisten in den Gefängnissen."
Was wäre, wenn ...
Dieses Gedankenexperiment, mir seit Kindertagen vertraut, kam mir in den Sinn, als ich die Feuilletons vom Freitag las. Was wäre also wenn Angela Merkel so ticken würde wie Recep Tayib Erdogan? Müsste sie dann Can Dündar, den Chefredakteur der regierungskritischen türkischen Zeitung "Cumhüriyet", verklagen oder sogar inhaftieren lassen, weil er sie öffentlich kritisiert hat? Darüber lohnt es sich schon nachzudenken.
Die Bundeskanzlerin schneidet bei diesem Vergleich deutlich besser ab, auch wenn bestehen bleibt, was Dündar in der !!BERLINER ZEITUNG!! kritisierte: Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz habe Merkel geschwiegen, als der türkische Premier auf die Frage, was mit den inhaftierten Journalisten geschieht, frech antwortete:
"Es gibt keine Journalisten in den Gefängnissen."
Ansonsten analysiert Dündar Fehler Europas im Umgang mit der Türkei. Er sagt:
Ansonsten analysiert Dündar Fehler Europas im Umgang mit der Türkei. Er sagt:
"Der erste war, die Verhandlungen mit der Türkei für die Aufnahme in die EU abzulehnen."
Narrenfreiheit der Geheimdienste unter Erdogan
Damit habe die EU die türkische Demokratiebewegung geschwächt und dazu beigetragen, dass sich die eigentlich säkulare Türkei jetzt "in Richtung eines islamischen Landes" entwickle. Korrekt müsste es heißen: zurück entwickle. Wie anders soll man es beurteilen, wenn in türkischen Gefängnissen gefoltert wird und Erdogan die Todesstrafe einführen will? Wenn, wie Constanze Kurz in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG festhält, "die Narrenfreiheit der Geheimdienste unter Erdogan vollständig ist und er systematisch Recht bricht und Menschenrechte missachtet?"
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG erfahren wir Aktuelles aus der Türkei aus dem "türkischen Tagebuch" des Journalisten Yavuz Baydar. Am Montag berichtete er von einer "Hexenjagd", von Sprechchören mit dem Ruf "Wir wollen Exekutionen" und von einem Präsidenten, der das Parlament dazu aufruft, "die Stimme des Volkes" zu hören. Am Dienstag berichtet Baydar, dass vielen Zeitungskollegen ohne Begründung die Pässe entzogen werden. Er befürchtet:
"Angesichts der autoritären Sprüche der AKP-Redner und der Aussicht, die Legislative könne wegen der Sommerpause über Wochen gelähmt sein, gibt es hinsichtlich der Ereignisse in der Türkei weiterhin allen Grund zu tiefem Pessimismus."
So wird der Freund, den Baydar am Mittwoch zitiert, nicht der einzige mit diesem Wunsch sein:
"Ich will eine sichere Zukunft für meine Kinder",
"Ich will eine sichere Zukunft für meine Kinder",
so begründet er seinen Entschluss, die Türkei zu verlassen. Das Fazit im türkischen Tagebuch:
"Die Sorge um die Zukunft wächst immer mehr in der türkischen Elite. Für die Mitglieder dieses vorwiegend säkularen, gebildeten Teils der Gesellschaft ist die Situation noch klaustrophobischer als für alle anderen."
Baydar erwähnt, dass für jene die USA das beliebtestes Auswanderungsziel ist.
Baydar erwähnt, dass für jene die USA das beliebtestes Auswanderungsziel ist.
Gegenwärtig "werden die Vereinigten Staaten von einer Protestwelle gegen rassistisch motivierte Polizei erfasst", schreibt der in Princeton lehrende Sozialwissenschaftler Didier Fassin in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Unter der Überschrift "Die Zerstörung der Gleichheit" klagt er an:
"Mindestens ebenso erschütternd aber ist die alltägliche Verachtung, die schwarzen Amerikanern entgegenschlägt. Die Polizei zeigt ihre Verachtung für das Leben der Afroamerikaner nicht nur durch dessen physische Zerstörung. Sie tut es auch, indem sie die afroamerikanische Bevölkerung sozial erniedrigt. Selbst bei ein und demselben Delikt sind die Strafen für jene deutlich höher."
Toleranzanforderung hat sich gewandelt
In der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG fragt der Schweizer Philosoph Andreas Urs Sommer, ob "Toleranz ein Wert" sei. Er weist nach, dass sich die Toleranzanforderung gewandelt hat:
"Vor 30 oder 40 Jahren hätten wir das Rauchen oder Kinderschlagen noch klaglos hingenommen und wären dafür offen schwul lebenden Männern gegenüber höchst ablehnend gewesen. Faktisch nimmt Toleranz immer wieder andere Gestalt an und hat keinen festen Kern."
Philosoph Sommer fordert uns auf, unsere Toleranzspanne immer wieder neu zu definieren. "Weil Menschen bewegliche Wesen sind, müssen auch ihre Werte beweglich bleiben" – so sein Fazit.
Philosoph Sommer fordert uns auf, unsere Toleranzspanne immer wieder neu zu definieren. "Weil Menschen bewegliche Wesen sind, müssen auch ihre Werte beweglich bleiben" – so sein Fazit.
Jetzt geht es um etwas Unbewegliches. Das Haus, in dem Thomas Mann während seines Exils in den USA lebte, wird zum Verkauf angeboten, das berichtet Peter Richter in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG. "Knapp 500 Quadratmeter für knapp 15 Millionen Dollar." Nicht nur, dass Thomas Mann dort in Los Angeles an seinen Werken schrieb, "es geht um den einzigen erhaltenen Ort, an dem sich die deutschsprachige Exil-Literatur mit der deutschsprachigen Exil Architektur der Moderne eingelassen hat". Gebaut wurde das Haus von dem Berliner Architekten Julius Ralph Davidson. "Architekt und Bewohner wären es wert, dass man um ihretwillen das Haus erhalte", denkt der Autor laut nach.
In einem anderen Fall scheint die Rettung auf einem guten Weg zu sein. Wir erinnern uns an den Film "Schindlers Liste" von Steven Spielberg. Das NSDAP-Mitglied Oskar Schindler hatte mit seiner Fabrik 1200 Juden das Leben gerettet. Die Fabrik liegt in Tschechien, Reste der Gebäude stehen noch heute. Nun soll dort eine Gedenkstätte entstehen. Erst im Frühjahr dieses Jahres wurden die
Besitzverhältnisse geklärt, schreibt die Tageszeitung TAZ. "Das Areal der ehemaligen Schindler-Fabrik gehört jetzt offiziell dem Oskar-Schindler-Stiftungsfond."
Olympia kam etwas kurz in diesem Wochenrückblick. Nun können Sie sich folgender Beobachtung in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG anschließen oder eben auch nicht:
"Wer Olympia schaut, sieht also Menschen dabei zu, wie sie etwas für sich genommen völlig Sinnfreies in größter Perfektion vorführen."