Unter den Masken
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Zunge raus, lächeln oder Lippenstift, mit einer Atemschutzmaske bleibt so einiges unsichtbar. Aber so wie allerlei Masken nun unser Gesicht verdecken, formt eine natürliche Maske schon sehr viel länger unser Gesicht, schreibt die Süddeutsche Zeitung.
"Bevor wir uns eine künstlich gefertigte Maske aufsetzen oder einen Mund- und Nasenschutz überstreifen, tragen wir schon eine andere, sehr viel weniger sichtbare Maske", schreibt Gustav Seibt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zur Maskenpflicht.
Wir tragen also doppelt Maske, die aus Stoff zum Schutz des Gegenübers und darunter ein manchmal "absichtsvoll modelliertes Gesicht", wie Seibt das nennt. Wobei es interessant wäre zu erfahren, denkt man beim Lesen, ob viele Menschen ihr Gesicht auch noch unter der Atemschutzmaske verstellen. Darauf geht Seibt nicht ein. Stattdessen erinnert er an Gedanken des Philosophen und Soziologen Helmuth Plessner.
"Dass das Zusammenleben von Verschiedenen nur in geformtem Verhalten, mit Miene, Geste, Takt, Diplomatie, aber auch mit Spiel, Humor und Ironie möglich ist, wollte Plessner seinen Zeitgenossen nicht als Defizit, sondern als Chance schmackhaft machen", erläutert Gustav Seibt. Plessner habe deshalb vom "Recht auf Maske" gesprochen. "Die stofflichen Masken, die wir jetzt für eine Zeit lang tragen sollen, wirken wie eine Allegorie auf Plessners Gedanken", folgert Seibt. "Denn wir tragen sie als Einzelne, aber für einen gemeinschaftlichen Zweck."
Eindeutige Handlungsanweisungen
Von der Allegorie zur Metapher, von der SÜDDEUTSCHEN zur WELT. Andreas Rosenfelder hat Susan Sontags Essay "Krankheit als Metapher" wieder gelesen und kann nicht anders, als auch im Coronavirus eine Metapher zu erkennen: "Gibt es vielleicht einen verborgenen Wunsch nach Instruktionen von mathematischer Eindeutigkeit, nach einer Formel für sinnvolles Handeln, die uns die Entscheidung darüber abnimmt, wie wir leben wollen?", fragt er. "Wünscht sich etwas tief in uns vielleicht schon, dass das geheimnisvolle Virus immer wiederkommt, um uns seine Befehle einzuflüstern, natürlich vermittelt durch sein Sprachrohr, die Virologie?"
Eine Virologin vom Helmholtz-Zentrum antwortete, als der "Spiegel" ihr eine Frage zur aus Datenschutzgründen umstrittenen Corona-App stellte: Sie finde es "unglaublich, dass diese Debatte überhaupt geführt" werde. Rosenfelders Kommentar: "Nun gibt es gar nichts Unwissenschaftlicheres als die Vorstellung, die Wissenschaft sei eine Art Maschine zur Produktion von 'Gegebenheiten', die dann 'stoisch zu akzeptieren' seien. Karl Popper wären über diesem Vulgärpositivismus die Haare zu Berge gestanden."
Der italienische Philosoph Giorgio Agamben hat nicht mehr so viele Haare, die ihm zu Berge stehen können. Aber er glaubt, Italien sei im Angesicht von Corona unbemerkt "ethisch und politisch" zusammengebrochen. Auch, weil sich vor allem die Kirche "zur Magd der Wissenschaft" gemacht habe. In der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG schreibt Agamben: "Die Kirche unter einem Papst, der sich Franziskus nennt, hat vergessen, dass Franziskus die Leprakranken umarmte."
Eine Pyramide als letzte Ruhestätte
Da fragt man sich schon, ob der 83 Jahre alte Papst Franziskus den unterschwelligen Ratschlag des italienischen Philosophen befolgen sollte: munter Covid-19-Patienten zu umarmen. Vorher sollte der Papst schon mal über seine letzte Ruhestätte nachdenken. Wie wäre zum Beispiel eine Pyramide?
"Pyramidabel", ruft Andreas Platthaus in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN aus und berichtet, dass es in Leipzig gleich mehrere Gruften in Pyramidenform gibt. In den Worten von Platthaus: "Ferdinand Eduard Ullstein war hier Papierhändler und starb 1912; als künftige Familiengruft wurde ihm ein Jahr später eine sechs Meter steil aufragende Pyramide auf dem Südfriedhof errichtet, deren großes Bronzeportal ein reichgeschmückter Türklopfer ziert, der aber pietätvollerweise unbeweglich ist: Die Ruhe des Fabrikantenpharaos bleibt ungestört."