Aus den Feuilletons

Unter Verschwörungstheoretikern

04:14 Minuten
Eine Demonstrantin hält ein Schild hoch mit der Aufschrift: „So Gates nicht. Bill impf Dich doch selbst. Artikel 20. Widerstand. Volksentscheid jetzt !!!“
Sie glauben, Bill Gates steuere die deutschen Medien und möchte uns alle zwangsimpfen lassen: Verschwörungstheoretiker bei der Berliner Demo gegen die Corona-Maßnahmen am Samstag. © F. Kern / Future Image / imago images
Von Tobias Wenzel · 02.08.2020
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Wie kann man einer Verschwörung am besten begegnen? Antwort: mit Herzensenergie. Eine erstaunliche Erkenntnis, die die „FAZ“-Autorin Hannah Bethke bei der Berliner Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen zu Tage förderte.
"Das Experiment", titelt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG mit Blick auf die nun trotz Corona eröffneten Salzburger Festspiele und spricht von einem "Testlauf für den Kulturbetrieb". "Jubiläum im roten Kreis", der Titel im TAGESSPIEGEL, spielt darauf an, dass im 100. Jahr des Bestehens nun unter anderem folgende Pandemiemaßnahme ergriffen wurde: Orchester, Chöre und Solisten sind zur besonders abgeschotteten Personengruppe Rot erklärt worden, die regelmäßig auf das Virus getestet wird.
"Vor Augen bleibt der mit einem Selbstbewusstsein gescheiterte Macho, der am Ende machtlos vor dem Tod steht und um Aufschub bettelt", schreibt über die "Jedermann"-Premiere Simon Strauß in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. "'Nutzt die Stunde noch aufs Beste', rät er dem Publikum, und natürlich erinnert das in Corona-Zeiten an die verschiedenen bewegenden Warnbotschaften, die todkranke Covid-Patienten der Nachwelt hinterlassen haben."
Strauß berichtet, der Regisseur Michael Sturminger habe im Programmheft "hilflos als Glaubenssatz" die "Aufklärung" beschworen. Nur was, wenn die Aufklärung versagt? "Wo keine Götter sind, walten bekanntlich nur noch Gespenster", antwortet Strauß, "also auf den Tag gewendet: die Berliner Verschwörungsanhänger."

Mit dem kleinen Prinzen die Welt retten

Die aber, so Hannah Bethke ebenfalls in der FAZ, bestreiten, Verschwörungstheoretiker zu sein, trotz ihrer Überzeugung, die Infektionszahlen seien gefälscht und Bill Gates steuere die deutschen Medien. Bethke hat sich unter die Menschen gemischt, die in Berlin gegen die Corona-Politik demonstriert haben und das in der Regel ohne den Sicherheitsabstand einzuhalten und ohne Maske.
"Masken weg! Wir sind das Volk", habe die Masse gerufen. Bethke beschreibt eine Szene so: "'Querdenken heißt für mich Liebe, Freiheit, Wahrheit!', ruft einer der Initiatoren durchs Mikrofon. Es gehe um unsere 'Herzensenergie'. Alle sollten die Welt mit dem Herzen anschauen, wie es schon in dem Buch 'Der kleine Prinz' steht. So könnten wir erkennen, dass es keine Pandemie gebe."
Da möchte man den kleinen Prinzen und seinen Erfinder, Antoine de Saint-Exupéry, gegen diese vergewaltigende Vereinnahmung in Schutz nehmen. Fantasievolles Querdenken und idiotisches Vereinfachen der Welt sind dann doch zwei sehr verschiedene Dinge.

Die Journalistin Natascha Strobl wird bedroht

Einen kritischen Text verfassen und jemanden bedrohen, das sind auch zwei sehr verschiedene Dinge. Allerdings können die auch kausal zusammenhängen. Peter Weissenburger behauptet jedenfalls in der TAGESZEITUNG, es gebe einen Zusammenhang zwischen Rainer Meyers Blog für die "Welt" und dem Psychoterror gegen Journalisten in sozialen Medien.
Meyer, Pseudonym Don Alphonso, heize "offenbar bewusst" den Mob an, wenn er zum Beispiel feministische oder antifaschistische Akteure kritisiere. So sei es auch der österreichischen Journalistin Natascha Strobl ergangen, nachdem Rainer Meyer am Mittwoch auf welt.de einen Text veröffentlicht hatte. Meyer versuche, so sieht es Strobl selbst, ihr den Expertenstatus zum Thema Neue Rechte abzusprechen und etwas zu skandalisieren, was bekannt sei: dass sie eine linke Einstellung habe.
Als Reaktion auf Meyers Artikel erlebe sie nun einen "Psychoterror" von Accounts aus dem rechten Spektrum. In Peter Weissenburgers Worten in der TAZ: "Sie erhält neben persönlichen Gewaltandrohungen auch Drohungen gegen ihre Familie." Auf die Frage der TAZ, ob der Springer-Verlag, dem die Zeitung "Welt" gehört, sich verantwortlich dafür fühle, was Natascha Strobl gerade widerfährt, habe der Verlag keine Antwort gegeben.
Und was liest man in der WELT vom Montag? Einen Artikel mit der Überschrift: "Facebook und Twitter müssen härter gegen Hass und Hetze vorgehen".
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