Aus den Feuilletons

Verfassungsrechtler vergleicht Burka-Gegner mit Kindern

Eine Burka tragen Besucherinnen der Ausstellung "Burquoi" im Kunstverein in Wiesbaden.
Eine Burka tragen Besucherinnen der Ausstellung "Burquoi" im Kunstverein in Wiesbaden. © dpa / picture alliance / Boris Roessler
Von Klaus Pokatzky |
Christoph Möllers fühlt sich bei Burka-Gegnern an Kinder erinnert, die glauben, die Welt verschwände, wenn sie die Augen schließen, erklärt der Verfassungsrechtler in der "SZ". Dass mit dem Verbot von Burka und Niqab die innere Sicherheit geschützt werden soll, sei auszuschließen.
"Rechts stehen, links gehen." Das steht in der Tageszeitung DIE WELT – ist aber kein Kommentar zu den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern. "Sitten werden in der Großstadt täglich neu verhandelt", schreibt Michael Pilz. "In Berlin werden Besucher, die nebeneinanderstehend den Verkehr auf Rolltreppen in Bahnhöfen und Kaufhäusern behindern, angebellt: 'Rechts stehen, links gehen!'"
Das ist ja eine sehr kluge Regel: wer es eilig hat, läuft links die Rolltreppe zügig hoch, wer Zeit hat, bleibt rechts gemächlich auf seiner Stufe stehen und lässt sich tragen. "Keine Anstandsregel ist in London heiliger und älter als 'Rechts stehen, links gehen' auf der Rolltreppe", entführt uns DIE WELT auf die Insel: "Verstöße werden scheinbar höflicher als in Berlin geahndet, durch ein Hüsteln oder eine eisige Entschuldigung, die aber alles sagt". Wohl dem, der im gesitteten London leben darf – wer will da wohl wieder weg?
"Der Direktor des Victoria and Albert Museums (V&A) in London, Martin Roth, gibt sein Amt auf." Das erfahren wir aus dem TAGESSPIEGEL. "Martin Roth hatte vor dem Brexit immer wieder erklärt, dass er die Isolation Großbritanniens nach einer solchen Entscheidung fürchte", heißt es in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Beide Blätter würdigen das segensreiche Wirken von Martin Roth an der Themse: mit Ausstellungen über David Bowie, die "radikale Mode" oder das "Design des Ungehorsams".

Berlin ist nicht London

Der TAGESSPIEGEL zitiert Martin Roth mit einem Satz nach dem Brexit-Referendum, das die Briten ja wieder auf ihre Insel konzentrieren soll: "Weshalb schlägt man kaputt, was über Jahrzehnte aufgebaut wurde?" Und was macht er nun, dessen Londoner Haus erst kürzlich zum "Museum des Jahres" gewählt worden war? "Roth, 61, soll noch keinen neuen Job in Aussicht haben", heißt es im TAGESSPIEGEL: "Nach Berlin, sagte er vor einem Jahr, wolle er nicht gehen." Das war vor einem Jahr.
DIE WELT macht Rolltreppen-Werbung für die deutsche Hauptstadt: "Berlin ist auch deshalb nicht London, weil es ein so herrlich preußisches und protestantisches Labor für Umgangsformen ist. Besucher mögen das eben noch gleichgültige und dann immer wieder unvermittelt grobe Wesen der Bewohner als Folklore feiern." Man nennt das verharmlosend auch Berliner Schnauze: nur, damit Martin Roth, der gebürtige Stuttgarter, rechtzeitig gewarnt ist, wenn er nun Angebote aus Berlin bekommen sollte…
"Es gibt keinen Konsens, was uns im öffentlichen Raum aus welchen Gründen wie sehr stört." Das lesen wir in der SÜDDEUTSCHEN – hat aber nichts mit dem sozialverträglichen Gebrauch von Rolltreppen zu tun. "Mein persönliches Unbehagen beim Anblick einer vollverschleierten Frau ist deutlich geringer als mein persönliches Unbehagen beim Anblick einer fremdenfeindlichen Demonstration", schreibt Christoph Möllers, der ein Verbot der vollverschleiernden Burka für "verfassungsrechtlich fragwürdig" hält.
Der Staatsrechtler Christoph Möllers
Der Staatsrechtler Christoph Möllers© picture-alliance / dpa / Friso Gentsch
"Wäre es aber nicht eine seltsame Öffentlichkeit, in der jeder seine Ablehnung gegenüber dem Islam öffentlich zum Ausdruck bringen darf, aber Frauen, die Objekt dieser Ablehnung sind, gezwungen wären, zu Hause zu bleiben?", fragt der Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Berliner Humboldt-Universität. "Wenn wir etwas verbieten wollen, müssen wir wissen, wozu. Dass mit dem Verbot von Burka und Niqab die innere Sicherheit geschützt werden soll, ist auszuschließen."
Christoph Möllers gilt als einer unserer renommiertesten Verfassungsrechtler und wird gern als ein möglicher Kandidat für das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gehandelt. Sollte er da tatsächlich mal sitzen und über ein Burka-Verbot mitzuentscheiden haben, dürfte sein Votum bereits jetzt klar sein: "Man fühlt sich an Kinder erinnert, die glauben, die Welt verschwände, wenn sie die Augen schließen."
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