Aus den Feuilletons

Viele bunte Kostüme, eine schwarze Queen und die Frauenfrage

04:20 Minuten
In "Bridgerton" ist Queen Charlotte schwarz.
In "Bridgerton" ist die Queen schwarz, gespielt von Golda Rosheuvel. © picture alliance / Netflix / Everett Collection
Von Arno Orzessek · 31.01.2021
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Die "Süddeutsche" kümmert sich noch einmal um die Kostüm-Soap "Bridgerton". Diese sei die erfolgreichste Netflix-Serie aller Zeiten, verkündet das Blatt euphorisch – und das liege nicht nur an den Bettszenen.
Wäre das hier ein aufwendiges Feature mit vielen tollen Geräuschen, Sie würden jetzt – bäng! bäng! bäng! – Schüsse hören: Leider sind in einer Kulturpresseschau derartige Effekte nicht vorgesehen. Darum kommen wir gewohnt trocken auf den Artikel "Buddhist und Waffenbesitzer" in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG zu sprechen, in dem Paul Ingendaay von seinem Freund Roger berichtet:
"Roger ist ein amerikanischer Psychotherapeut jenseits der fünfzig, ein Intellektueller mit leiser Stimme und einem sozialen Engagement, von dem er nur spricht, wenn man ihn danach fragt. Irgendwann hatte er seine eigene therapeutische Praxis und behandelte Kinder aus gefährdeten Milieus. Und dann, vor etwa fünf Jahren, fing Roger an zu schießen."

Dr. Jekyll & Mr. Hyde

Paul Ingendaay findet das bemerkenswert und wir mit ihm, zumal Roger, sein wahrer Name lautet anders, inzwischen vier Handfeuerwaffen, ein Gewehr, eine Schrotflinte und mehrere kampftaugliche Messer besitzt, von denen er eines stets bei sich trägt. Nur glaube niemand, Roger sei einfach von Dr. Jekyll zu Mr. Hyde mutiert:
"Erstaunlicherweise steht sein Interesse an Waffen nicht im Gegensatz zu seinem praktizierten Buddhismus. Roger glaubt, sein Wesen habe einen weichen und einen harten Anteil. Das buddhistische Element in ihm ist freundlich, nachgiebig, offen für die Welt. Der andere Teil dagegen fragt: 'Wenn es irgendwann zu einer gefährlichen Situation kommt – soll es von der Laune eines gewalttätigen Menschen abhängen, ob ich lebe oder sterbe?'"
Nein, Paul Ingendaay wirbt nicht für das Recht auf Bewaffnung. Er teilt in der FAZ seine Irritation über Freund Roger mit und wir teilen seine Irritation. So viel zum Schießen.

"Es sind nicht nur die Bettszenen"

Lassen wir uns nun von der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG erklären, "warum die Kostümsoap 'Bridgerton' die erfolgreichste Netflix-Serie aller Zeiten ist". Offenbar ist die Antwort wichtig, der Artikel "Es sind nicht nur die Bettszenen" dient der SZ als Feuilletonaufmacher.
Bridgerton, so Kathleen Hildebrand, "ist eine clevere Melange aus erfolgserprobten Formaten: 'Downtown Abbey', 'Gossip Girl', das Jane-Austen-Gesamtkunstwerk plus die bonbonfarbige Poppigkeit aus Sofia Coppolas 'Marie Antoinette'. Die Serie haucht dem Historiengenre auch eine Modernität ein, weil sie die Rollen der Aristokraten nicht nur mit weißen Schauspielern besetzt. Auch zur Frauenfrage hat 'Bridgerton' einiges zu sagen: Die jungen Damen der höheren Gesellschaft wurden zwar von Kindesbeinen an darauf trainiert, eine gute Partie zu machen, werden aber bewusst unwissend über die körperlichen Aspekte der Ehe gehalten."
Wir selbst haben es coronahalber auch mal mit "Bridgerton" probiert – laut SZ immerhin massentaugliches "Pandemie-Soulfood". Es blieb eine kurze Liaison.

Hits sind kurz - und werden immer kürzer

Apropos kurz! "Musikstücke, die deutlich länger sind als drei Minuten, werden keine Hits mehr", heißt es in der Tageszeitung DIE WELT, die sich auf eine Studie für den Technologiekonzern Samsung beruft:
"Jedes Musikstück müsse seinen Hörer sofort fesseln, ohne Intro", paraphrasiert Michael Pilz, "der Refrain müsse beizeiten einsetzen und das Stück insgesamt schneller vorüber sein als die Geduld des Hörers, idealerweise auf dem Höhepunkt, damit der Hörer auch das nächste Stück des Künstlers hören möchte. 'Am Ende dieses Jahrzehnts wird ein Musikstück höchstens zwei Minuten lang sein', schreiben sie bei Samsung."

Verlag für Chormusik in Schwierigkeiten

Vom Pop zur Klassik. Laut Berliner TAGESSPIEGEL droht vielen Noten- und Musikverlagen mangels Konzerten die Insolvenz:
"Je spezialisierter ein Verlag ist, desto schwieriger gestaltet sich die Situation", erklärt Georg Rudiger. "Der Stuttgarter Carusverlag ist mit 30.000 Chorwerken weltweit einer der größten Anbieter von Vokalmusik, was in Coronazeiten, in denen der Gesang wegen der Aerosolbildung als gefährlich eingestuft wird, zu einem entscheidenden strategischen Nachteil wird. Der Verlag hat das schlechteste Geschäftsjahr seit seiner Gründung erlebt."
Besser stehen laut TAGESSPIEGEL Verlage da, die Notenabos für einzelne Instrumente anbieten – denn in der Pandemie boomt häusliche Kammermusik. Falls diese Verlage nun ihre Erleichterung ausdrücken wollten, könnten sie es mit den Worten einer SZ-Überschrift tun. Sie lauten: "Danke, Schicksal".
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