Aus den Feuilletons

Völkerverständigung durch Kunst

Der Schriftzug "Made in Germany" steht auf dem Etikett eines Trainingsanzugs.
In London können die Engländer jetzt mehr über die deutsche Geschichte erfahren. © dpa / picture alliance / Andreas Gebert
Von Burkhard Müller-Ullrich |
Die meisten Briten verbinden mit Deutschland nach wie vor Hitler und den II. Weltkrieg. Dass da noch ein wenig mehr zu wissen lohnt, zeigt jetzt eine Ausstellung im Londoner British Museum - was die hiesigen Feuilletons freut.
"Von den großen europäischen Staaten ist Deutschland das Land, das wir am wenigsten kennen und verstehen, nicht zuletzt, weil unser Kenntnisstand vor siebzig Jahren stehengeblieben ist."
Sagt – im Interview der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG – der Direktor des British Museum Neil MacGregor. Er hat, um der Unkenntnis seiner Landsleute abzuhelfen, eine Ausstellung unter dem Titel "Deutschland – Erinnerungen einer Nation" organisiert, die mehr als eine Ausstellung ist: Dazu gehören auch eine 30-teilige BBC-Radioserie sowie ein opulentes Buch, das im November auch auf deutsch erscheint.
"Nomineller Anlass der Sonderschau ist der 25. Jahrestag des Berliner Mauerfalls. Es hätte auch der Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren oder die Thronbesteigung durch den Hannoveraner Georg I. vor 300 Jahren sein können."
Teilt Alexander Menden in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG mit, denn "an Jahrestagen mit deutschem Bezug mangelt es nicht."
Kunsthistoriker und großer Deutschlandfreund
MacGregor ist Kunsthistoriker und ein großer Deutschlandfreund. Er hat sich als Schüler eine Zeit lang in Hamburg aufgehalten und dort erkannt, wie verschieden der Umgang mit Geschichte in den beiden Ländern ist. Zum Beispiel sagte er der FAZ:
"An Deutschland bewundere ich, dass Geschichte eingesetzt wird, um darüber nachzudenken, wie man sich jetzt und in der Zukunft verhalten soll. Es ist bezeichnend, dass es kein englisches Wort für 'Mahnmal' gibt."
Dazu passt der von Alexander Menden in der SÜDDEUTSCHEN geäußerte Eindruck:
"Anders als die letztjährige 'De l'Allemagne'-Schau im Louvre sucht das British Museum jedenfalls nicht nach einem finsteren im 'deutschen Wesen' angelegten Urkomplex. In London wird Dürers 'Ritter, Tod und Teufel' weniger nach seiner düsteren Symbolik befragt, sondern als unerreichter technischer Triumph des Kupferstich-Handwerks gefeiert."
Warum seine Präsentation so ideologiefrei ist, erklärt MacGregor im Gespräch mit Gina Thomas von der FAZ wie folgt:
"Als Ausländer steht man nicht unter dem Zwang, ein Narrativ und eine erklärende Deutung zu liefern. Ein Deutscher hätte für eine solche Ausstellung eine Linie oder These haben müssen. Ein Abschnitt unserer Ausstellung behandelt den Komplex Goethe, Bauhaus, Buchenwald, ein völlig unerklärliches Phänomen. Ich spüre keine Notwendigkeit, eine Erklärung zu versuchen."
"Alles bleibt der Interpretation durch die Besucher überlassen"
Es gibt noch eine zweite Ausstellung in England, die ein großes Zeitungsthema ist, und zwar im Blenheim Palace, dem 300 Jahre alten, von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärten Prunkpalast in der Nähe von Oxford, dem Stammhaus der Herzöge von Marlborough, in dem – zum Beispiel – Winston Churchill geboren wurde.
Lord Edward Spencer-Churchill, ein Sohn des 11. Herzogs von Marlborough aus dessen dritter Ehe, ist auf Ai Weiwei zugegangen mit einer schier unwiderstehlichen Einladung: den Palast von Blenheim als opulente Kulisse zu wählen für ein Drama aus Freiheit und Provokation.
So schreibt Thomas Kielinger ein bisschen staksig in der WELT, denn was bitte soll "ein Drama aus Freiheit und Provokation" wohl sein? Vielleicht die hölzernen Handschellen, die Ai Weiwei in Churchills Bett gelegt hat? Oder die mit dem Coca-Cola-Logo bemalte Vase aus der Han-Dynastie? Oder die 40 Fotografin berühmter Gebäude, die alle um 90 Grad gedreht sind? Kielinger jubiliert darüber, dass hier nichts erklärt werde:
"Alles bleibt der Interpretation durch die Besucher überlassen. Auch in solcher Absage an Gängelei mag man eine demokratische Demonstration erkennen, die Befreiung von einengender Festlegung."
Rekord der Langsamkeit für NZZ
Fast unausweichlich drängt sich ein dritter Feuilletonartikel über englische Kunst oder besser: ein englisches Ausstellungsobjekt auf, der in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG steht. Es geht um Tracey Emins berühmtes ungemachtes Bett, das jüngst auf einer Auktion für zweieinhalb Million Pfund verkauft und von seinem Käufer der Tate Gallery als Leihgabe überlassen wird. Aber was heißt hier "jüngst"?
Über Verkauf und Verleih wurde schon vor Wochen berichtet, und der NZZ-Artikel bringt absolut nichts Neues. Tatsächlich trägt der Text von Georges Waser das Datum vom 27. Juni; er steht aber im Blatt vom 14. Oktober. Falls die NZZ nicht schon alle Rekorde der Langsamkeit hält: dies wäre definitiv ein neuer.
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