Vom Rückschritt im Fortschritt
Das Nachdenken über unsere Zukunft ist belastet. Denn manche Parteien und Gruppierungen träumen nur noch von der Restauration der Vergangenheit, schreibt die "FAS". Und so muss vieles, was schon lange vernünftig schien, plötzlich noch einmal diskutiert werden.
Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, werden sicherlich unterschiedliche Programme auf dem Weg zum 1. Mai verfolgen: Die einen tanzen vielleicht gerade in den Mai, die anderen machen sich mit letzten Kurzstreckenläufen fit für die traditionelle Demonstration. Das ist sicherlich beides ganz lustig, aber bevor Sie damit weiter machen, lassen Sie uns innehalten und die vergangene, verregnete April-Woche Revue passieren.
Am Montag veröffentlichte der Berliner TAGESSPIEGEL einen Nachruf auf Harald Schmidt, jedenfalls künstlerisch. "Der Schmieren-Lord" war der Artikel von Joachim Huber überschrieben und er stellte die Frage, ob Harald Schmidt das "Herzkino" des ZDF erträglich machen könne. Die Idee der Macher war wohl gewesen, Schmidt werde in einem Rosamunde-Pilcher-Film die Figur eines hypochondrischen Lords durch seine Spielweise brechen, aber – so Huber:
"Der große Ironiker, dieser skrupellose Pathologe des Deutschtums, er ist ein mittelbegabter Schauspieler. Sein Lord ist ein grenzdebiler Pumuckel-Lord" …
und so weiter und so weiter. Schmidt ist erledigt.
Die Türkei und die Erpressbarkeit der EU
Am Dienstag war die Türkei Thema: Der türkische Botschafter bei der EU hatte Protest eingelegt gegen das "Aghet"-Projekt der Dresdener Sinfoniker, in dem der Mord an den Armeniern explizit angesprochen wird – was in der Türkei harte Konsequenzen hätte. Und er hatte mit der Revision des Abkommens zur Flüchtlingsfrage gedroht. Jan Brachmann kommentierte in der FAZ, dass:
"Die Türkei die politische Erpressbarkeit der EU nun ganz gezielt nutzt, um den Geltungsbereich ihres Strafgesetzbuches über die Landesgrenzen hinweg auszudehnen."
Jetzt – so Brachmann – müsse die EU zeigen, welchen Preis sie zu zahlen bereit sei für die Verteidigung ihrer Werte. Wir warten gespannt.
Am Mittwoch veröffentlichte die Tageszeitung TAZ einen Nachruf auf die "Subkultur". Eine Studie hat ermittelt, dass die heutige Jugend sehr angepasst sei. Man möchte sein wie alle, heißt es. Die TAZ hält im Namen ihrer Zielgruppe dagegen:
"Eine Mehrheit der Jugendlichen meint, dass ein gemeinsamer Wertekanon von Freiheit, Aufklärung, Toleranz und sozialen Werten gelten muss, - klingt doch ganz okay."
Jürn Kruse spricht seiner Klientel Mut zu:
"Und das Schönste an dieser angepassten Jugend ist, dass sie in ein paar Jahren nicht nach nachträglichen Begründungen fahnden muss, um die Scheiße, die sie damals gebaut hat, mit irgendeinem Sinn aufzuladen… Das ist doch schon mal ein Fortschritt."
Wenn man unterstellt, dass es früher das Schicksal der Jugend war, notwendig – Pardon! – "Scheiße" gebaut zu haben, dann kann man in der Angepasstheit wirklich einen Fortschritt sehen.
Superheld Captain America im Einsatz
Zum Glück kommt gerade der neue Spielfilm mit dem Superhelden Captain America heraus, echtes Superheldenkino für angepasste mainstream-Sesselpupser. In der FAZ vom Donnerstag entwickelt Andreas Platthaus die Geschichte der Comic-Helden aus dem Marvel-Verlag sowie die Chronik ihrer Filmwerdung und fasst die verwirrende Dramaturgie in einem Satz zusammen:
"Die Gegenspieler der Helden bleiben diesmal blass, doch der Film kann sich das leisten, weil die Guten selbst genug damit zu tun haben, einander zu bekämpfen."
Klingt nach einer wirklich tollen Story – wenn die Guten sich gegenseitig verdreschen und nicht wissen, wer die Bösen sind.
Der Umgang der Öffentlich-Rechtlichen mit der AfD
Die Guten und die Bösen – am Freitag dachte David Pfeifer in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG darüber nach, wie das öffentlich-rechtliche Fernsehen mit der AfD umgehen solle. Er war vor der Mattscheibe ahnungslos in die Maischberger-Sendung mit Thilo Sarrazin und Beatrix von Storch geraten – was Pfeifer zu dem Bonmot reizte, hier habe man wohl die Böcke eingeladen, um über Gärtner zu reden. Pfeifer kommt zu der Empfehlung, die Öffentlich-Rechtlichen sollten :
"Nicht ignorieren, nicht überheblich sein. Sondern den Gegner studieren und dann schneller und schlauer zuschlagen. So schwer ist das nicht. Nur anstrengend."
Es stellt sich die Frage, ob es wirklich die Aufgabe der Öffentlich-Rechtlichen sei, eine Partei – so geschmacklos sie auch sein möge – zum Gegner zu erklären und zuzuschlagen. Bislang sah man das nicht so.
Kurz vor dem Übergang zum 1. Mai versorgt uns die FAZ mit dem einzig zeitgerechten Thema – sie berichtete unter dem Titel "Das fünfte Element" von einer Landesausstellung über die Beziehung Bayerns zum Bier. Wer jetzt denkt, es ginge um die CSU, Horst Seehofer und sprunghafte, wie vom Alkohol befeuerte Politik, hat zu kurz geschlossen. Es geht wirklich ums Bier. Der urbayerische Hannes Hintermeier jedenfalls weist eigens darauf hin, dass:
"… frisch saniert … barrierefreie 1500 Quadratmeter Ausstellungsfläche zur Verfügung"
stehen. Da wird der oktoberfesttraumatisierte Bayerntrinker aber froh sein, dass sich zwischen seiner Maß und der Toilette keine Barriere aufstellt.
Harald Welzers Buch "Die smarte Diktatur"
Wir sind beim Bier, da sind wir auch beim 1. Mai. Zeit nach vorn zu schauen. In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG schreibt Claudius Seidl über Harald Welzers neues Buch "Die smarte Diktatur". Seidl streitet dafür, dass die Themen in Welzers Buch, nämlich die Daten und wer über sie verfügen kann, das Thema ist, über das wir eigentlich streiten und diskutieren sollten:
"Geht aber leider nicht. Es ist, als ob jene Parteien, Gruppierungen und Bewegungen, von Donald Trump bis zur AfD, welche unsere Zukunft als Restauration einer Vergangenheit träumen, die es niemals gab, …ihr Ziel in dieser Hinsicht zumindest erreicht hätten: dass so vieles, was vernünftig und selbstverständlich erschien, noch einmal neu besprochen werden muss. Plötzlich scheint es Leute zu geben, mit denen man einmal darüber sprechen muss, dass die Menschen frei geboren und im Besitz unveräußerlicher Rechte sind."
Vielleicht hat Seidl es nicht geahnt, aber die, die in dieser Nacht nicht in den Mai getanzt sind, sondern Kurzstreckenlaufen trainiert haben, haben morgen auf der Demo ein gutes Thema: Die Bewahrung des Vernünftigen und Selbstverständlichen. Wir wünschen einen schönen Mai!