Vom Sehnen nach den wilden Zwanzigern
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Der Vergleich drängt sich auf: Die wilden, goldenen 1920er-Jahre - und die Dekade, die gerade angebrochen ist. "Die Zeit" lässt Florian Illies über die Sehnsucht nach früher philosophieren- inklusive gewagter Metaphern zu den "alten" 20er-Jahren.
Ulk mit Adolf Hitler treiben, das kann bekanntlich prima klappen – wie man seit Charlie Chaplins Klassiker "Der große Diktator" von 1940 weiß.
Aber klappt es auch in "Jojo Rabbit" – der Komödie des neuseeländischen Regisseurs Taika Waititi, in der sich der zehnjährige Jojo während der NS-Zeit mit einem imaginären, jedoch dauerpräsenten Adolf Hitler herumschlägt?
Laut TAGESZEITUNG setzt der Film die Zuschauer "immer wieder zwischen die Stühle", und das sei "kein sehr komfortabler Platz".
"Soll man mitfühlen mit Jojo, der enttäuscht darüber ist, dass er mit den anderen Hitlerjugend-Jungs nicht mithalten kann? Soll man über Rebel Wilson lachen, die als Nazi-Braut Unsinn von sich gibt? Oder etwa Mitleid haben mit dem zusehends kläglicher werdenden Adolf, dem es nicht passt, dass ihm Jojo entgleitet? Wobei der Witz ist, dass sich die ganzen Ambivalenzen gar nicht so schlecht anfühlen, man aber (...) doch denkt, sie müssten einen mehr bedrücken. Weil doch nur das Lachen, das im Halse stecken bleibt, pädagogisch wertvolles Lachen ist, oder?"
Erkennbar orientierungslos: Barbara Schweizerhof in der TAZ.
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG lobt Magdalena Pulz: Die Heiterkeit in "Jojo Rabbit" entlarve den Nazi-Wahnsinn "viel charmanter und effektiver, als Schwarz-Weiß-Dokumentationen mit einem brüllenden Typen vor Soldatenhorden und Taschentuch schwenkenden jungen Frauen das heute noch können."
Als Zuschauer von "Jojo Rabbit" etwas ratlos
Aufs Ganze gesehen aber zuckt auch die SZ-Autorin Pulz mit den Schultern: "Wirklich mutig wäre es (…) gewesen, diesen brillant deplatzierten Feelgood-Ton bis zum Ende durchzuziehen. Die Diskrepanz zwischen dem Hihi-Gefühl und Jojos beinhartem Nazi-Geplapper schlägt einem so schon auf den Magen. Stattdessen lässt Waititi, (...) das Drama in seinen Film einziehen – er buchstabiert die Schwere für uns aus. (…) Es ist ein schnelles Hin und Her, ein emotionales Pingpong, bei dem man als Zuschauer etwas ratlos zurückbleibt."
Wir bleiben in der Vergangenheit.
20er-Jahre aus hartem Eisen und poliertem Nickel
"Die Zwanzigerjahre sind da", titelt die Wochenzeitung DIE ZEIT, in der Florian Illies zu erklären versucht, "warum wir uns heute so heftig zurücksehnen in eine Zeit, die selbst keine Sehnsucht kannte".
Eine extrem steile These, wie wir meinen - angesichts der zahllosen neuen Sinn-Angebote, Heilserwartungen und dem Aufblühen der sogenannten politischen Religionen in den 20er-Jahren.
Aber das Wort hat Florian Illies: "Ja, die Zwanzigerjahre waren manchmal wirklich golden. Ganz ohne Frage. Aber sie waren eben gleichzeitig auch oft aus dem Blech der Fressnäpfe und aus billigem Talmi, sie waren aus dem harten Eisen der Schlagstöcke, das an den Fingern stank, und aus dem kalten Stahl der kühnen Bauhaus-Konstruktionen und aus dem polierten Nickel der Bars am Kurfürstendamm. Es war eine ganz einzigartige Legierung, deren Teile sich nicht verbinden wollten, eine glühende und zugleich eiskalte Metallmischung, die sich wie ein Lavastrom seit 1919 über das Land ergoss, (…) um dann 1933 wie ein Wasserfall in den Abgrund zu stürzen."
So der furchtlose Metaphern-Schmied Florian Illies, für den sich eine eiskalte Metallmischung tatsächlich wie ein Lavastrom ergießen und später zum Wasserfall mutieren kann. Wir fühlen uns in den Surrealismus versetzt, der ja auch ein Kind der 20er-Jahre war…
Architekt Gottfried Böhm wird gefeiert
Genauso wie übrigens Gottfried Böhm, der Architekt, dessen 100. Geburtstag an diesem Donnerstag alle Blätter feiern. Für die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG ist Böhm "Jüngster Meister des heiligen Köln" – denn dort stehen viele Gebäude nach seinen Entwürfen.
Doch Patrick Bahners' Enthusiasmus, falls es ihn gibt, verbirgt sich mal wieder in einer nüchtern-rationalen Bestandsaufnahme. Während Ulf Meyer in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG unter der Überschrift "Der Beton blüht, die Postmoderne welkt" immerhin leise Ironie bemüht, wenn er Gottfried Böhm als "Schöpfer von Meisterwerken und Fehlschlägen" tituliert.
So weit für heute.
Ach ja! Falls Sie nicht wissen, was Sie mitten in der Wochen feiern könnten – feiern Sie doch einfach, mit einer Überschrift der TAZ, den "Triumph des Lebens."