Aus den Feuilletons

Vom Zirkus zum Zoo

Von Arno Orzessek |
Während die "Süddeutsche" sich begeistert zeigt von einem Zirkus, der ohne Tiere auskommt, hadert die FAZ mit der Vermenschlichung von Tieren durch Zoobesucher, angestachelt durch Tier-Doku-Soaps im Fernsehen.
Das hier ist eine Premiere, liebe Hörer! Erstmals führt uns eine Kulturpresseschau in den Zirkus. Und nicht nur das: Auch im Zoo, den wir nach dem Zirkus besuchen werden, sind wir im Rahmen dieses Formats noch nie gewesen. Doch der Reihe nach.
"Dem langjährigen Anhänger der Distinktionskulturen fällt es nicht leicht anzuerkennen, dass der Status Quo des Pop im Zirkus zu suchen ist",
heißt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, in der Andrian Kreye ein Lob auf den Cirque du Soleil ausbringt. Der kanadische Zirkuskonzern gastiert gerade in München. Und zwar mit der Inszenierung "Kooza", die Kreye als "einen Hybrid aus Aladins Wunderlampe, Faust und dem Zauberer von Oz" vorstellt.
"Sie beginnt mit ein paar Clowns und entwickelt dann schnell einen Sog, der nach der Dramaturgie eines Actionfilms in der Katharsis eines atemberaubenden Stunts endet, bei dem ein Artist auf einem Turm aus Holzstühlen auf einem Arm in der Waagerechte balanciert, was ein wenig so aussieht wie diese Nummern, die sich Tom Cruise oder Vin Diesel von einem Computer auf den Leib rechnen lassen müssen."
Ein SZ-Foto zeigt den wackeligen Turm, auf dem der Künstler Yoo Deng Bo ganz unerklärlicherweise haushoch und einarmig-elfenhaft in einem gleißend herabwaltenden Lichtkegel schwebt, der die Szene in eine Atmosphäre von Epiphanie oder Apotheose taucht.
Man versteht, warum die SZ erleichtert betont:
"Hier muss niemand depressiven Nilpferden zuschauen, während sie durch trübe Algensuppe paddeln."
Anthropomorphismuss allerorten
Vom Zirkus in den Zoo.
"Identifikationsfiguren frisst man nicht", betont die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG.
Christina Hucklenbroich befasst sich mit dem Echo von Medien und Menschen auf die Tötung und Verfütterung der Giraffe Marius im Kopenhagener Zoo.
Laut Hucklenbroich liegt der "Schwarze Peter", den die Autorin ohne Diskriminierungsängste so nennt, inzwischen bei den empörten Zoobesuchern und jenen Leuten, die den Kopenhagener Zoo wegen der Giraffen-Verfütterung reflexhaft verurteilt haben.
Sie werden von Experten der Heuchelei geziehen ... Weil ja auch die Tiere, deren Weg in unseren Pfannen endet, ganz so wie Marius aus dem Leben scheiden.
Hucklenbroich indessen macht die Doku-Soaps nach dem Vorbild von "Elefant, Tiger & Co." für das heikle Mitgefühl mit der Giraffe verantwortlich.
"Plötzlich stand man nicht mehr vor einer anonymen Herde Pinguine, wenn man einen Zoo besuchte. Man lernten stattdessen 'Sandy' kennen, einen Pinguin aus dem Allwetterzoo Münster, der sich in den Tierpfleger verliebt hatte. Sandys Nachbarn waren nicht minder individuell in ihren Sehnsüchten und ihrem Sexualverhalten: Wir trafen zwei homosexuelle Pinguin-Weibchen, die plötzlich doch ein Küken ausbrüten. Wir lernten, Worte wie diese in Zusammenhang mit Eisbären, Pinguinen und Pinselohrschweinen zu gebrauchen: 'fremdgehen', 'verlieben', Mobbing' oder 'Midlife-Crisis'."
Laut FAZ geht das so nicht weiter. Der Verband Deutscher Zoodirektoren VDZ fordert, die Personalisierung der Tiere zu stoppen.
"'Der Berner Zoodirektor denkt inzwischen daran, auch den Bären in Zukunft keine Namen, sondern nur Nummern zu geben'", zitiert Hucklenbroich den VDZ-Direktor Peter Dollinger.
Nun hinaus in die Natur, die der amerikanische Künstler Jasper Johns in seinem Werkzyklus "The Seasons" gemalt hat.
Von der Ausstellung des Zyklus' in der Gallery at Windsor in Florida "unglaublich gerührt" zeigt sich Tim Ackermann in der Tageszeitung DIE WELT – zumal Johns aus seiner Sicht "auf sehr intime, fast zärtliche Weise sein Scheitern eingesteht":
"Die Leiter, die im Werkzyklus mit Johns eigenen Gemälden verbunden ist und so eine künstlerische Aufstiegsbewegung symbolisiert, ist in 'Fall' und 'Winter' zerbrochen. Letztlich, so das Urteil des Künstlers, muss man sich halt damit abfinden, dass das Streben der Menschen zu nichts führt. Den Kampf gewinnen am Ende andere Kräfte."
Worte mit Schlusswort-Charakter.
Nur eins noch, liebe Hörer. Möge Ihnen erspart bleiben, was die WELT-Überschrift verkündet – nämlich:
"Die Entdeckung der Wetterfühligkeit".