"Von Luther kann man manches lernen"
Das Gedenkjahr zum 500. Reformationsjubiläum wird nun eröffnet, Anlass genug für die Feuilletons, die Person Luther unter die Lupe zu nehmen. In der "FAZ" echauffiert sich Jürgen Kaube über die Seichtigkeit, mit der die evangelische Kirche ihres streitbaren Gründervaters gedenkt.
Ihr Recht auf ausgelassenes Hörvergnügen würden wir nie in Abrede stellen, liebe Hörer! Zunächst aber müssen wir eine spröde, amtsschimmelgraue Mitteilung loswerden, um auch die Kirchenfernsten unter uns auf den Stand der Dinge zu bringen: An diesem Montag, dem 31. Oktober 2016, eröffnet die Evangelische Kirche in Deutschland offiziell das Gedenkjahr zum 500. Reformationsjubiläum.
So! Nun versteht auch wirklich jeder, warum die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG titelnd witzelt oder witzelnd titelt:
"Lasst uns froh und Luther sein!"
- eine Anspielung auf das Nikolaus-Lied "Lasst uns froh und munter sein"… Was wir erwähnen, um auch jene mitzunehmen, die eventuell erst kürzlich aus Nikolaus-losen Kulturkreisen zugezogen sind. In der FAZ-Unterzeile wird aus Spaß Ernst.
"Die Evangelische Kirche macht das Reformationsjubiläum zu einem Festival des Banalen. Martin Luther wird fürs 'Liebsein' in Dienst genommen. Was er wollte und bewirkte, scheint vergessen."
ätzt Jürgen Kaube.
Tradition der Seichtigkeit?
Der FAZ-Autor nimmt gewaltig Anstoß an den flottierenden Jubiläums-Handreichungen der Kirche und schließt Margot Käßmanns neues Buch "Sorge Dich nicht, Seele" ausdrücklich in seine Tirade ein. Laut Kaube lassen die Protestanten mit Luther eine Tradition der Seichtigkeit beginnen:
"Mit [jenem] Luther [schüttelt Kaube den Kopf], der gelehrt hat, wie sehr Verzweiflung, Sorge und Elend die Existenz bestimmen. Für den Angst und Unsicherheit dem Menschen nicht von außen zustießen. Der keine sündenfreien Handlungen kannte und keine Rettung daraus durch Liebsein. Dessen Denken schon deshalb von keinerlei Fortschrittsglauben bestimmt war, weil er das Ende aller Dinge in nächster Zeit erwartete. […] Der meinte, gute Gründe für eine Intoleranz zu haben, der heute wohl das Attribut 'fundamentalistisch' verliehen würde."
Nun, da wir in Jugendtagen selbst Überdosen von Pietismus, also von extrem Luther-affinem Hardcore-Protestantismus, verabreicht bekommen haben, geben wir einiges auf unser Urteil, wenn wir behaupten: Jürgen Kaube hat recht!
Luther war viel eher ein seelisch abgerissener Sündenfetischist und sämtliche menschlichen Schwärzen durchjagender theologischer Existenzialist, als ein Easy-going-in-Gott-Bruder, auf den man irritationsfreies Gutmenschentum gründen könnte. Aber sei's drum.
Ausdrücklich als "Lobpreis" preist die Tageszeitung DIE WELT ihren Luther-Artikel an. Er steht unter der lebensberatungsliteraturtauglichen Überschrift:
"Hört endlich auf mit dem Katzbuckeln vor dem Chef."
Luther als Beispiel für Widerstandsfähigkeit
Dem WELT-Autor Tilmann Krause gefällt es, Luther vor allem als knorrig-knurrigen Charaktertypen mit Verbiege-Resistenz vorzustellen.
"Von Luther kann man manches lernen – vor allem aber dies: den Stier bei den Hörnern zu packen. Nicht auszuweichen und umzufallen, wenn es brenzlig wird. Konfliktfähigkeit. In einer Zeit der Leisetreter und Opportunisten, der Political Correctness und einer sprachlichen Normierung, der nachgerade etwas Byzantinisches anhaftet, kann der Rückgriff auf Luther etwas sehr Erfrischendes haben. Aber dieser Rückgriff besteht nicht in Denkmalserhebung, er besteht – solo verbo – darin, ihn zu lesen … Ein großer deutscher Autor steht vor dir!"
Für Luther entflammt: Tilmann Krause in der WELT.
Wir unterstellen, liebe Hörer, dass Sie sich vor dem nahenden Ende unserer Presseschau nicht mehr auf ein neues, unfrommes Thema einlassen wollen, das wir dann auch nur noch hektisch abhaken könnten.
Stattdessen füllen wir die verbleibende Lücke mit einem Tipp:
Lesen Sie in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG "Die nächste Blase", ein starkes Stück über das Glück von San Francisco und die dort drohende Erdbeben-Apokalypse.
So, nun sind wir wirklich am Ende... Und es steht ihnen frei, mit einer Überschrift der NZZ zu fragen:
"Warum nicht gleich?"
Wir antworten mit Prediger 3, Vers 1, in der Übersetzung Martin Luthers: "Ein jegliches hat seine Zeit" - auch eine Kulturpresseschau.